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Ins Eis: Roman (German Edition)

Ins Eis: Roman (German Edition)

Titel: Ins Eis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Nieberg
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Außerdem dachte ich, wir könnten einen Umweg fahren, damit ihr ein wenig mehr von der Landschaft seht.«
    Kirsten hatte ihre eigenen, immerhin beheizten Griffe zum Festhalten auf dem Schneemobil, weshalb sie recht bequem saß und sich nicht an Tim festklammern musste. Bereits nach hundert Metern klappte sie das Visier ihres Helms herunter, um ihre Wangen vor dem Fahrtwind und Erfrierungen zu schützen. Ansonsten trug sie dieselbe Oberbekleidung wie auf der Hundeschlittentour, die auf angenehme Art nach Hund roch. Unterwegs begegneten sie weiteren Schneemobilfahrern, die meisten schneller, da ohne Anhänger unterwegs, später sogar einer Gruppe mit dreißig Touristen, ein endloser Zug aus dröhnenden Motoren. So viel zur arktischen Einsamkeit. Ihr Ziel sei keine der üblichen Touristendestinationen, rief Tim ihr zu, während sie den Lindwurm passieren ließen, im Tal würden sie allein sein.
    Nach einer Stunde Fahrt legten sie eine Pause ein. Jonas meldete, er müsse dringend pinkeln. Bis Kirsten ihn wieder richtig angezogen und alle Kleiderschichten geordnet hatte, waren ihre Hände so kalt, dass sie den kleinen Finger nicht mehr ohne Hilfe an den Ringfinger legen konnte. »Da ist man doch froh, wenn man nur ein Kind hat, an dem man herumbasteln muss«, murmelte sie.
    Tim schenkte ihr Tee ein. »Das ist der sogenannte Windchill-Faktor«, erklärte er. »Wir haben minus siebzehn Grad, das ist Durchschnitt für diese Jahreszeit. Allerdings kommen heute ungefähr fünf bis sechs Meter Wind pro Sekunde hinzu, das sind etwa 20 km/h. Ein schwacher Wind bloß, aber er reicht, um die gefühlte Temperatur auf unter minus fünfundzwanzig Grad zu drücken.«
    »Wie stark war der Wind an dem Nachmittag, an dem Kristoffer starb?«
    »Mehr als doppelt so stark. Mit stürmischen Böen.« Er überlegte. »Null Grad fühlen sich bei solchen Bedingungen schnell an wie minus zehn Grad. Bei minus fünf Grad landest du dann schon bei gefühlten minus 20 Grad.«
    »Dann ist Kristoffer der Wind zum Verhängnis geworden?«
    »Der Wind war sicherlich ein entscheidender Faktor. Dazu kamen seine nassen Kleider, beides kühlt extrem den Körper herunter.«
    Kirsten nippte an ihrem dampfenden Tee und füllte etwas Schnee in den Becher, damit er schneller Trinktemperatur erreichte. Sie saßen nebeneinander auf dem Motorschlitten, die Beine von sich gestreckt. Jonas hatte sich in den Schnee geworfen und formte mit wedelnden Armen einen Engel. Tim deutete mit dem Kinn auf ihn.
    »Ist Jonas dein einziges Kind?«
    Sie nickte, den Mund voll mit einem Schokokeks. Als Nächstes erkundigte sich Tim, was sie beruflich mache.
    »Bis zu Jonas’ Geburt habe ich in einer Galerie gearbeitet. Ich male noch – habe an einer Kunsthochschule studiert. Und ich bin Rennen geritten.«
    »Als Jockey?«
    »Amateur-Jockey. Ich hätte wohl auch das Zeug zum Profi gehabt. Zumindest das Gewicht.« Sie war aufgestanden, um den Becher auszuschütten, und drehte sich einmal um die eigene Achse. »Ich weiß, in diesen Kleidern kaum zu glauben.«
    »Dann war die Hundeschlittenfahrt ja langweilig für dich.«
    »Nein, gar nicht. Anders. Man fällt nicht so tief, das ist ein Vorteil.«
    »Warum hast du aufgehört, Rennen zu reiten?«
    »Ich bin mit Kristoffer zusammengezogen und dafür aus Stuttgart fortgegangen. Dazu die Arbeit in der Galerie, und so ist es eben eingeschlafen. Wenig später ist frau schwanger, bekommt ein Kind und überlegt es sich dreimal, ob Yoga für eine frischgebackene Mutter nicht das bessere Hobby ist.«
    »Wirst du jetzt wieder anfangen zu arbeiten?«
    »Natürlich. Ich hätte schon längst wieder anfangen wollen, aber irgendwie gab es immer einen Grund, weshalb es sich nicht anbot, etwas zu suchen. Jobs in Galerien sind rar gesät. Aber ich hatte in der Zwischenzeit eine Ausstellung mit eigenen Bildern. Sie haben sich recht gut verkauft. Das war eine tolle Erfahrung, sogar die Zeitung hat darüber berichtet.«
    »Was malst du?«
    »Meistens Aquarelle, früher mehr Öl. Viele Landschaften. Ich mag auch Farbspiele. Wie das hier.« Sie deutete mit einer schwunghaften Bewegung auf die sie umgebende Endlosigkeit. Je nach Höhe, Schatten, Neigung der Hangfläche strahlte der Schnee in bläulich-, blassviolett- oder rosafarbenem Licht. Am Himmel standen ein paar flache, spitzovale Wolken im reinsten Weiß, Formen, die eher an Ufos denn an kondensiertes Wasser denken ließen. Kirsten hatte noch nie etwas Vergleichbares gesehen. Diese Wolkenart würde in

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