Ins Eis: Roman (German Edition)
Erland aufgebracht. Er stellte seinen Becher ab. Brauner Kaffee schwappte über, tränkte das Tischtuch und sprenkelte den Schnee. »Das gilt für die Frauen wie für die Männer. Aber ich will gar nicht so tun, als ginge es hier einzig um das Privatleben deiner Schwester, Hartmut. Es geht ums Geschäft. Ihr beide, du und Elisabeth, sollt wissen, dass ich ein Auge auf euch haben werde. Oder hat Elisabeth etwa nicht vor, sich nach Fredrik den Einfluss auf die Leitung der Bank zu sichern? Woher kommt denn auch sonst ihr Interesse an Peter? Habt ihr beide nicht vor, den vermeintlichen Fehler eures Vaters wettzumachen und das Bankhaus Warthenberg wieder stärker unter die Kontrolle eures Familienzweigs zu ziehen? Die Stolts rauszudrängen? Gott allein weiß, welche Mittel euch dabei recht sind.«
»Das ist doch lächerlich!«
»Ist es das? Immerhin scheinen ziemlich viele in dieser Bank darauf hinzuarbeiten, mich loszuwerden. Bitte erklär mir nicht, du und Elisabeth hättet nichts damit zu tun.«
Hartmut schnaubte. »Von Rausdrängen kann doch überhaupt keine Rede sein. Ich glaube, du lenkst einfach von deinem eigentlichen Problem ab: das Problem, das dahinten am Schlitten steht. Fredrik zieht ihn dir in der Bank vor, und das macht Peter ziemlich unbequem für dich. Ein paar hässliche Gerüchte über ihn und meine Schwester zu streuen wird dir dabei allerdings nicht helfen, verlass dich drauf.«
»Also ich finde nicht, dass wir das hier be…«, setzte Kirsten an, wurde jedoch von Hartmut rüde unterbrochen.
»Und du, Kirsten, weshalb hältst du nicht einfach mal die Klappe? Deine ganzen Fragen, überall steckst du deine Nase rein. Bist du nur hier, um Unfrieden zu stiften? Mich wundert es jedenfalls nicht mehr, dass Kristoffer ständig ohne dich in Urlaub gefahren ist.«
»Halte bitte meinen Bruder und Kirsten da raus!«, fuhr Erland Hartmut an, laut genug, dass sich die Köpfe der Gruppe um den Motorschlitten herum in ihre Richtung drehten. »Das war jetzt wirklich unangemessen und geschmacklos.«
Womit der Streit im Schweigen endete. Die letztgültige Macht, der geißelnde Schutz der Toten, die aus dem Grab heraus Anstand einfordern konnten, wo die Bande der Lebenden versagten. Kirsten zog sich zurück. Ingrid hatte begonnen, das Expeditionszelt, das ihr und Kirsten in der Nacht Unterschlupf gewähren sollte, aufzubauen. Während Kirsten ihr zur Hand ging, sinnierte sie darüber, ob Erland womöglich recht hatte. Hatten Peter und Elisabeth eine Affäre, wie Erland anzunehmen schien? Ausschließen wollte sie es nicht. Fredrik, Peter und womöglich gar Kristoffer – konnte Elisabeth so durchtrieben sein?
Kirsten beschloss, Elisabeth, sobald sie alle wieder in Longyearbyen zusammentrafen, wegen Kristoffer zur Rede zu stellen. Sie hatte langsam genug. Von der Familie, ihren Geheimnissen und von der verdammten Bank.
Wenig später brachen Peter und Oda auf, da sie es sonst vor Einbruch der Nacht nicht mehr zum Schiff schaffen würden. Das Lager grenzte direkt an den Fjord, wodurch die Zurückbleibenden beobachten konnten, wie die beiden Motorschlitten in der Ferne immer kleiner wurden, schwarze Punkte in ausgedehnter Weite. Das Knattern der Motoren verklang, zurück blieb frostige Stille unter einem sich nicht nur wegen der Dämmerung verfinsternden Himmel. Das Thermometer zeigte minus fünfzehn Grad.
Die Gruppe baute die restlichen Zelte auf: weitere Doppelzelte für Hartmut und Tobias, Erland und Fredrik; Tim würde im Gemeinschaftszelt schlafen. Später legten Hartmut und Erland eine Toilette abseits der Zelte an. Kirsten behielt sie bei ihrer Arbeit im Auge; sie schienen sich zu unterhalten. Friedlich.
Mit der hereinbrechenden Dunkelheit kam der Schnee. Schon den ganzen Tag über hatte eine leichte Brise die Menschen gezwungen, das Gesicht aus dem Wind zu drehen, hatte alten Schnee aufgewirbelt und ihn wadenhoch über den Fjord geweht. Nun schwoll der Wind an, frisch fallende Flocken schaukelten nicht länger gemächlich zu Boden, sondern jagten einander in schrägen Salven. Im Licht der Stirnlampen schien es, als sausten die frostigen Wattebäusche direkt auf einen zu, wie im Scheinwerfer eines fahrenden Autos. Sie prallten gegen ungeschützte Wangen und Augen unter gesenkten Wimpern. Die Hunde hatten sich zusammengekringelt, die Lider geschlossen. Nach und nach verschwanden sie unter flachen Schneehügeln.
Die Zelte standen keine zehn Meter auseinander, die Hundegespanne zwischen ihnen verankert, aber
Weitere Kostenlose Bücher