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Ins Eis: Roman (German Edition)

Ins Eis: Roman (German Edition)

Titel: Ins Eis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Nieberg
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schwiegen auch beim Anblick des noch fernen Hotelschiffs. Dennoch übertrug sich ihre Erleichterung auf die Hunde, die nun noch schneller liefen, sicher auf dem mittlerweile festen Trail unterwegs. Pfoten flogen, Beine streckten sich, Rücken bogen sich weiter durch auf den letzten Kilometern, und Tim bremste die Tiere nicht.
    Diesmal wartete niemand an Deck, um sie zu begrüßen, obwohl die Schneemobile der Damengruppe wie am Tag zuvor aufgereiht vor dem Bug des Schiffes standen, ihre Kufen bedeckt von kleinen Ansammlungen Triebschnee. Oda musste angesichts des Wetters beschlossen haben, eine weitere Nacht auf dem Schiff zu verbringen.
    Die Schiffshunde schlugen an, sobald sie sich der »Noorderlicht« näherten und die Anker setzten. Oda rannte als Erste von Bord, ohne Kopfbedeckung, ohne Handschuhe, nur einen Arm in die Jacke gesteckt, so dass der freie Ärmel hinter ihr herschlackerte. Tim lief ihr entgegen. Bei seinen ersten Worten verschränkte Oda die Hände hinter dem Nacken, die Ellenbogen im spitzen Winkel nach vorne gerichtet. Das Entsetzen zog ihren ganzen Oberkörper nach unten. Tim griff nach ihr, ein Wort jagte das nächste.
    Kirsten kämpfte noch mit ihrer Eisschraube und den Ankern. Fredriks Knochen knackten, als er in die Knie ging, um ihr zu helfen. Er drehte die Ankerschraube weiter in das Fjordeis hinein als nötig, Kirsten musste ihm in den Arm fallen, damit er aufhörte und sie nicht bis zum Anschlag versenkte. In der Zwischenzeit erschienen weitere Gestalten an Deck, Crewmitglieder, die die Gangway hinunter zu Tim und Oda liefen, danach die in identische Jacken gekleideten Mitglieder der Reisegruppe. Monika hatte sich einen scharlachroten Schal um den Hals geschlungen, der dem Wetter seine Leuchtkraft entgegensetzte. Sie stand vorne, dicht an der Reling, mit Jonas auf dem Arm. Die Entfernung war zu groß, doch Kirsten glaubte erkennen zu können, wie Monikas Blick von einem zum anderen glitt, zählte, suchte, nicht fand.
    »Fredrik.« Kirsten berührte seine Schulter, deutete in Richtung Schiff.
    Ihr Schwiegervater schaute nicht auf. »Bitte, Kirsten, ich kann es nicht. Nicht diesmal, nicht schon wieder.« Seine Stimme klang rau. Er fummelte noch immer am Seil, das die Eisschraube mit dem Frontanker verband.
    »In Ordnung.« Kirsten erhob sich langsam. Sie ging auf das Schiff zu, das kahl und im Frost erstarrt vor ihr in den Himmel ragte, leise knarrend im Wind, für den die Takelage zum Instrument wurde. An Deck ließ Monika Jonas zu Boden gleiten. Sie machte ein paar Schritte auf die Gangway zu, über die Kirsten jeden Moment nach oben kommen würde. Dann blieb sie stehen, drehte sich erneut zu den Ankömmlingen. Zählte ein weiteres Mal die Teams, die Menschen, die Schlitten.
    Jonas rannte die Gangway hinunter und warf sich in Kirstens Arme. Ihm war noch nichts aufgefallen. Er lachte, weil seine Mama da war. Kirsten drückte ihr Gesicht gegen Jonas’ Hals, damit er die Tränen in ihren Augen nicht sah. Heiser bat sie ihn, seinen Opa zu begrüßen. Sie setzte ihn ab, und Jonas sprang davon. Schnee stob unter seinen Füßen auf.
    Kirsten setzte ihren Gang fort, hinauf an Deck, vorbei an Peter, Elisabeth und Tanja, die ihr Platz machten, stirnrunzelnd, verwirrt. Dort, wo Wasser und Schnee auf dem Boden gefroren waren, knirschte Eis unter den Stiefeln.
    »O bitte nicht«, flüsterte Monika, kurz bevor Kirsten sie in die Arme nahm, fest, den großzügigen Leib ihrer Schwägerin an sich drückend, wie um ihn zusammenzuhalten. Sie stieß hervor, was sich ereignet hatte, laut genug, damit auch die anderen sie verstanden. Ein Schütteln ging durch Monikas Körper. Sie schluchzte und stellte dazwischen stammelnde Fragen, ungläubig zuerst ob der Ungeheuerlichkeit dessen, was Kirsten ihr erzählte.
    »Es ging alles unglaublich schnell, er hat bestimmt nicht gelitten«, murmelte Kirsten. »Er hat nicht einmal geschrien. Bestimmt hat er nicht einmal Zeit für Angst gehabt. Er war allein, als es geschah.« Und dann weitere Sätze, sinnlos wahrscheinlich, an die sie sich bereits Minuten später nicht mehr erinnern konnte. Menschen rannten an ihnen vorbei auf dem Weg zum Satellitentelefon. Und während all dem höhnte der Wind weiter in den Masten und der flaggebekrönten Takelage der »Noorderlicht«.
    Oda und Tim sprachen über Telefon mit dem Gouverneur von Svalbard. Nach ein paar Minuten holten sie Ingrid ans Telefon. Die Hilfe würde auf sich warten lassen. Tim und seine Gruppe hatten Glück gehabt;

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