Ins Gras gebissen: Ein neuer Fall für Pippa Bolle (Ein Pippa-Bolle-Krimi) (German Edition)
gelehnt hatte, und zog ein kurzes Schreiben heraus. Stirnrunzelnd las die alte Dame, seufzte dann und übergab Pippa den Brief.
»Lesen und erledigen«, sagte Christabel. Sie nahm ein Croissant aus dem Brotkörbchen, tunkte es in ihren Milchkaffee und biss genüsslich ab.
» Liebe Christabel, veranlasse bitte Deine derzeitige Haushälterin, am Ostersamstag für mich in Storchentramm zur Apotheke zu gehen. Dr. Wegner war so freundlich, mir bei einem Hausbesuch ein Rezept auszustellen, das bei mir abgeholt werden kann. Julius. «
Pippa blieb die Spucke weg. Was glaubt dieser Mann, für wen ich arbeite?, dachte sie. Oder will er schlicht seine Mutter imitieren? Und was kommt als Nächstes auf mich zu? Fütterung der Störche mit frischen Fröschen, die ich vorher selbst im Drömling fangen muss? Oder das Harken der Storchwinkeler Bürgersteige in Karomuster? Das Drehen der Baumkuchenwalze im Dreivierteltakt?
Sie schaffte es nur mühsam, ihre Gedanken nicht laut auszusprechen. »Ich bin nicht motorisiert«, sagte Pippa, »wie komme ich nach Storchentramm, um die Medikamente zu holen?«
Christabel schüttelte den Kopf und kicherte. »Überhaupt nicht. Dies ist nur ein Versuch von Julius, Sie näher kennenzulernen. Er hat mit Frauen nicht sehr viel Erfahrung. Das ist einfach seine Art, um einen Besuch zu bitten. Wahrscheinlich gefallen Sie ihm.« Sie strich Butter und Marmelade auf das angebissene Croissant und aß mit sichtlichem Appetit.
Pippa entspannte sich wieder und grinste. »Ich fürchte, Ihr Sohn hat keine Chance bei mir. Ich habe schon jede Menge Bekannte.«
»Dann kommt es auf einen mehr ja auch nicht mehr an«, konterte Christabel und griff nach einem zweiten Blätterteighörnchen.
»Also gut. Dann werde ich ihn morgen besuchen.« Pippa wusste, wann Widerstand zwecklos war.
»Nein, Sie gehen schon heute zu ihm. Und Sie dürfen dabei ruhig ungeniert Ihrem Hobby frönen, meine Liebe.«
»Hobby?«, fragte Pippa verblüfft.
»Fragen stellen und irgendwann daraus die richtige Antwort entwickeln.«
»Ich verstehe nicht …«
»Nun, man hört so einiges über Sie«, erwiderte Christabel, ohne ihr Frühstück zu unterbrechen. »Und alle Geschichten sind überaus interessant: Morde auf einer Schrebergarteninsel, Mordstheater in Stratford-upon-Avon. Und nicht zu vergessen: Fischen nach Mördern in Frankreich.«
»Angeln«, verbesserte die verblüffte Pippa automatisch.
Christabel sah amüsiert von ihrem Tablett auf. »Sieht jedenfalls so aus, als würden Sie derzeit wunderbar hierherpassen.«
»Der Professor ist besser informiert, als ich dachte.«
»Josef Krause hat – oder besser: hatte – eine deutlich größere kriminelle Energie als Meissner, meine Liebe, und ist damit der qualifiziertere Informant.«
»Natürlich, Herr X.«
Er war jetzt Künstler, hatte aber früher einmal eine weit weniger vorzeigbare Karriere verfolgt.
»Seine heutigen Arbeiten gefallen mir«, sagte Christabel munter, »die Xe passen perfekt zu meinem Lebensmotto: Man kann mir kein X für ein U vormachen.« Unvermittelt wurde sie ernst. »Wer meine Pläne durchkreuzt, im wahrsten Sinne des Wortes, muss damit rechnen, ausgeixt zu werden. Bildlich gesprochen.« Um das Gesagte zu unterstreichen, zeichnete sie mit dem Buttermesser ein X in die Luft. »Meine Mitarbeiter wissen das längst. In meiner Familie muss sich das erst noch herumsprechen.«
»Julius?«, fragte Pippa vorsichtig.
»Der auch.« Die alte Dame beugte sich vor. »Finden Sie heraus, ob er irgendetwas mit dieser Sache zu tun hat.«
Pippa schluckte trocken. »Den … Todesfällen?«
»Den Plagiaten natürlich.« Ihr Tonfall legte nahe, dass es keinen Zweifel daran geben konnte, was sie gemeint hatte.
»Aber Sie haben doch selbst gesagt, dass Ihr Sohn für eine solche Aktion …«
»Freut mich, dass ich gestern glaubhaft wirkte«, fiel Christabel ihr ins Wort, »jetzt muss ich nur noch selbst davon überzeugt werden.« Sie seufzte und fuhr fort: »Bei ihm hängt alles von seiner Tagesform ab. Julius ist ein Krankheitsjunkie. Er liest von einer Krankheit, und am nächsten Tag leidet er prompt unter den Symptomen. Das bringt ihm meine Aufmerksamkeit. Und die vieler verschiedener Ärzte.«
»Aber was fehlt ihm wirklich?«
»Familie. Oder doch zumindest eine, die er wirklich haben will.«
»Hat er doch, Christabel: Sie.«
»Allerdings erst seit drei Jahren.«
Du liebe Güte, dachte Pippa, Julius muss bei der Adoption schon weit über vierzig Jahre alt gewesen
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