Ins Gras gebissen: Ein neuer Fall für Pippa Bolle (Ein Pippa-Bolle-Krimi) (German Edition)
Sänfte. Es kümmerte ihn nicht, dass er Hollweg mitten im Satz unterbrach, als er sich an Christabel wandte. »Frau Gerstenknecht, wir brauchen Ihre Entscheidung. Der erste Storch steht im Turmnest von Haus 6, also wäre eigentlich Bornwasser der Gewinner des ersten Preises.«
Er zeigte auf den Monitor im Schaufenster, und Christabels sichtlich irritierter Blick folgte seinem Finger. Einen Moment lang schwieg sie, während die Menschen vor der Ade-Bar wie auf heißen Kohlen ihre Entscheidung abwarteten.
Dann sagte sie: »Bornwassers letzten Wunsch habe ich bereits erfüllt. Ich habe sein Grab bezahlt. Mehr gibt es nicht. Dieses Nest – und damit auch dieser Storch – läuft außer Konkurrenz. Deshalb hatte ich diese Kamera auch vorsorglich abgestellt.«
»Bravo!«, rief Erich. »Ein Hoch auf Christabel Gerstenknecht!«
Die Hochrufe und der begeisterte Applaus der Leute ließen Pippa zu ihrer Überraschung Genugtuung empfinden. Die Königin von Storchwinkel wickelt ihre Untertanen um den Finger, dachte sie, die beiden Bürgermeister und ihr Komplott um das überdimensionale Einkaufszentrum haben nicht den Hauch einer Chance, wenn sie nur an sich denken – ob mit Waltraut Heslich als Komplizin oder ohne.
Pippa stellte verwundert fest, dass auch sie auf dem besten Wege war, ein eingefleischter Fan der alten Lady zu werden. Waltraut Heslich hatte gegen Christabel Gerstenknechts Interessen gearbeitet, was auch hieß, dass Christabel trotz ihres biblischen Alters als ernstzunehmende Gegnerin betrachtet wurde. Hätte es sonst konspirativer Treffen bedurft, bei denen Komplotte geschmiedet wurden? Und Waltraut Heslich war noch weiter gegangen: Sie hatte sogar ihre eigenen Komplizen gegeneinander auszuspielen versucht. Überall schwarze Flecken auf vermeintlich weißen Westen, selbst in diesem winzigen, hübschen Dorf …
Pippa wurde wieder aufmerksam, als Erich erstaunt fragte: »Was macht der denn jetzt?«
Alle starrten auf den Monitor. Der Storch stand noch immer im Nest, nur pickte er jetzt an etwas herum, das sich außerhalb der Reichweite der Kamera befand.
»Nach Bornwassers Tod hat niemand daran gedacht, das Nest zu reinigen«, sagte Christabel. »Ihn wird der Unrat vom Winter stören.« Sie winkte Florian heran. »Such dir einen Freiwilligen, und dann bringt das Nest in Ordnung. Sofort.«
Brusches Hand schnellte in die Höhe. »Ich bin dabei! So bekomme ich gleich ein Foto aus der Perspektive des ersten Storches in diesem Jahr. Das hatte ich noch nie.«
Als Pippa den beiden Männern hinterherblickte, sah sie den alten Heinrich gemessenen Schrittes zur Ade-Bar kommen. Wie schon auf dem Friedhof ging er barfuß in leichten Sandalen und war in eine alte Wolldecke gewickelt. Er trat an die Sänfte und sagte leise: »Ich habe deinen Auftrag ausgeführt, Christabel. Zu deiner Zufriedenheit.«
Christabel Gerstenknecht lächelte und legte Heinrich sanft die Hand auf den Arm. »Wir reden später darüber.«
Vermutlich ging es bei dem Auftrag um den kranken Julius Leneke, dachte Pippa, es sei denn, die beiden haben noch andere Dinge miteinander zu klären.
Hauptkommissar Seeger kam eilig aus der Ade-Bar und sagte zu Heinrich: »Freut mich, dass ich Sie endlich treffe. Ich …«
Der alte Mann musterte ihn ruhig. »Viele Menschen haben mich herbeigewünscht – dem wollte ich mich nicht entziehen. Verfügen Sie über mich, wenn Sie Hilfe bei der Aufklärung der Todesfälle brauchen.«
»Nun, ich hätte einige Fragen an Sie«, erwiderte Seeger.
Heinrich machte eine kleine Verbeugung. »Ganz der Ihre. Ich habe die vier grässlichen Todesfälle vorhergesagt, also werde ich Ihnen auch bei der Aufklärung behilflich sein.«
Erstaunt zog Seeger die Augenbrauen hoch. »Vier? Ich zähle zwei. Sie meinen, es wird noch mehr passieren?«
»Ich sehe Verbindungen, und ich zähle die Toten. Alle«, sagte Heinrich ernst. »Eva Lüttmann und ihr Tod in der Mühle, Severin Lüttmann senior und sein tragisches Ableben im Sumpf, Bierleiche Bornwasser im Storchenkrug und Frau Heslichs Feuertod in der Ade-Bar. Das sind vier.« Er machte eine dramatische Pause und fuhr dann mit erhobener Stimme fort: »Erst Luft, dann Erde, dann Wasser, dann Feuer. Merkt euch: Wer sich gegen die Elemente stellt, von dem fordern sie Tribut. Einstweilen sind sie besänftigt. Friede kann wieder einziehen in unser Dorf – bis eines der Elemente aufs Neue erzürnt wird. Dann wird sich die Erde abermals auftun, und der zornige Wind wird neuerlich
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