Ins Gras gebissen: Ein neuer Fall für Pippa Bolle (Ein Pippa-Bolle-Krimi) (German Edition)
Nächste seinen Februar und so weiter. Bei der Anzahl der mitwirkenden Bewohner Storchwinkels ergab das locker fünf Jahre Dorfchronik. Sie vermutete, dass es sowohl aus den vorhergehenden als auch den nachfolgenden Jahren weitere Bände gab, laut Einband behandelte das ihr vorliegende Buch die Jahre 1990 bis 1995.
Ein kollektives Tagebuch der Wendejahre, dachte Pippa, eine großartige Idee.
Neugierig suchte sie nach Leuten, die sie bereits kennengelernt hatte, und fand als Erstes den Beitrag von Hermann, der mit ihr und einigen anderen an der Haltestelle des Bücherbusses darauf gewartet hatte, dass Timo die Tür öffnete.
» Endlich ist nach vier Jungen meine erste Tochter geboren. Mutter und Kind sind wohlauf «, las sie, » obwohl die Zeit nicht reichte, ins Krankenhaus zu fahren. Aber das war eher beruhigend, denn im Storchendreieck ist es ja seit langem gefahrloser, ein Kind zu Hause zu bekommen als im Kreißsaal in Storchhenningen. Ich war also ziemlich erleichtert, dass die Kleine es so eilig hatte. «
Oh-oh, dachte Pippa, wenn Waltraut Heslich da schon das Zepter im Kreißsaal geschwungen hat, wird sie diesen Kommentar nicht gerne gelesen haben.
Sie blätterte weiter bis zu einem Kapitel, als dessen Verfasserin Hilda Krause verantwortlich zeichnete. Die Bäckerin berichtete von ihrem Alltag in der Ade-Bar: » Endlich ist die bestellte Baumkuchenwalze eingetroffen, und sie funktioniert einwandfrei. Das wissen jetzt alle, die ich zu den ersten Ergebnissen meiner Backkunst eingeladen habe. Übrigens: Die Schokoladenüberzugfraktion hat das Wettessen gewonnen – und richtet das nächste Fest aus! «
Pippa seufzte beim Gedanken an das unrühmliche Ende der Baumkuchenwalze, deren Einweihung so fröhlich gefeiert worden war.
Die nächsten Kapitel der Chronik überflog sie lediglich, erst dem Beitrag von Harry Bornwasser schenkte sie wieder mehr Aufmerksamkeit.
» Jetzt im November ist es wieder ganz besonders ärgerlich, dass meine Mitbürger sich standhaft der Notwendigkeit widersetzen, endlich die Gehwege vor ihren Häusern zu pflastern. Blätter und tiefer Matsch verschmutzen Schuhe und Hosensaum, wenn man gezwungen ist, zu Fuß durchs Dorf zu gehen. « Es folgten eine detaillierte Kosten-Nutzen-Rechnung und ein ärgerliches Fazit, in dem er den Dorfbewohnern bescheinigte, dass sie sich mehr für die ersten Reisen ins Ausland interessierten, als vor ihrer eigenen Tür zu kehren und damit alles auf Vordermann zu bringen.
Bornwasser hatte sein Kapitel nicht nur mit einer schwungvollen Unterschrift, sondern zusätzlich mit einem Stempel versehen. Pippa beugte sich tiefer über den Abdruck, um die winzigen Buchstaben zu entziffern, und stutzte: Der Stempel identifizierte Harry Bornwasser als Notar.
Hatte er seinen Beruf als Gerichtsvollzieher erst später ergriffen? Viele Menschen waren nach der Wende gezwungen gewesen, beruflich umzusatteln. In seinem Fall war der Wechsel hervorragend gelungen, sonst besäße er nicht so viele Immobilien. Fest stand allerdings, dass die neue Tätigkeit seine Beliebtheit bei seinen Mitbürgern nicht gerade gesteigert hatte.
Pippa wusste aus Gesprächen mit Ede Glassbrenner mehr über Notare der DDR, als ihr lieb war. Glassbrenner spuckte Gift und Galle, wenn er über die Willkür der Rechtspflegeorgane zeterte, deren Opfer er geworden war. Seiner Meinung nach waren die wenigen freiberuflichen Notare damals nichts weiter als der verlängerte Arm der ihm verhassten Regierung.
Und Bornwasser war einer von ihnen, dachte Pippa. Das ist mir mindestens so unsympathisch wie sein Beitrag zur Chronik.
Neugierig suchte Pippa nach einem Beitrag von Christabel. In ihrem Kapitel schilderte die alte Dame ihre Empfindungen, als sie nach der Maueröffnung aus Westdeutschland in ihre alte Heimat zurückkehrte. Erstaunt las Pippa, dass Christabel damals Haus Nummer 2 gekauft hatte, in dem heute Mandy Klöppel mit ihrer kleinen Tochter Lucie wohnte.
Würde mich gar nicht wundern, wenn sie Mandy das Haus zu einer äußerst günstigen Miete überlässt. Pippa lachte leise vor sich hin. Ich sollte mal herausfinden, was dabei für Christabel herausspringt. Umsonst ist bei ihr ja nichts.
In ihrem Kapitel beschrieb Christabel außerdem zwei Spaziergänge mit ihren Hunden, und sie hatte – wie andere auch – ihren Beitrag mit Fotos illustriert. Eins zeigte zwei bildschöne Schlittenhunde vor Heinrichs Mühle, und auf zwei weiteren war ein halbwüchsiger Junge zu sehen, der mit den Tieren
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