Ins Leben zurückgerufen
mir leid«, sagte die Empfangsdame. »Der Name sagt mir nichts. Möchten Sie Platz nehmen, Mr. …?«
»Dalziel.« Er musterte ihr Gesicht, fand aber keine Anzeichen dafür, daß sie ihn bewußt getäuscht hatte, aber das hatte nichts zu sagen, außer vielleicht, daß sie besser als er war. Egal, ob sie ihn nun anlog oder wirklich keine Ahnung hatte, sie würde ihm eindeutig nicht weiterhelfen.
Er nahm den angebotenen Platz und blätterte in den Hochglanzmagazinen. Es waren die neuesten Nummern, nicht die mit Eselsohren verzierten Überbleibsel des Vorjahres, wie sie im durchschnittlichen englischen Wartezimmer herumflogen. Der ganze Ort stank nach Geld. Hier kamen wohl die reichen Amis her, die sich ihre Hühneraugen entfernen oder ihr Gesicht liften ließen. Er spielte kurz mit dem Gedanken, mit gestrafftem Gesicht und transplantiertem Haar nach Yorkshire zurückzukehren. Da würden die Kerle Augen machen! Er verspürte eine plötzliche Sehnsucht nach den »Kerlen«. Zur Ablenkung füllte er einen Fragebogen aus, um seinen Grad an Durchsetzungsvermögen zu testen, und war gelinde überrascht, daß er fast krankhaft schüchtern war. Während er noch darüber nachdachte, kritzelte er in der Zeitschrift herum und malte die Zähne von Make-up-Models schwarz an. Das lenkte seine Gedanken auf Linda Steele. Er hatte leichte Schuldgefühle, weil er ihr entwischt war, nicht so sehr ihretwegen, sondern Thatchers wegen. Der Mann hatte ihm eine Gefälligkeit erwiesen und könnte seine Reaktion mißverstehen, wenn Steele sich bei ihm meldete.
Er nahm Thatchers Karte aus der Tasche und sah sich nach einem Telefon um. Auf dem Schreibtisch der Empfangsdame stand eines. Die junge Frau war verschwunden. Dalziel stand auf, ging zum Schreibtisch und nahm den Hörer ab.
»Büro von Mr. Thatcher. Was kann ich für Sie tun?«
»Ich würde gern mit Dave sprechen, bitte.«
»Mr. Thatcher hat gerade zu tun …«
»Sagen Sie ihm, es sei Andy Dalziel.«
In ganz Yorkshire bedurfte es nur dieses einen Satzes, und eine ganze Menge wichtiger Leute ließen ihre Akten liegen, ihren Suppenlöffel und sogar ihre Geliebte und griffen zum Hörer. Es gab keinen Grund, daß sein Name auch hier ein Sesam-öffne-dich war, aber es gab auch keinen Grund, es nicht auszuprobieren.
»Hallo? Thatcher.«
»Dave, ich wollte mich nur dafür bedanken, daß Sie mir Linda geschickt haben. Wir sind irgendwie getrennt worden, aber ich werde dafür sorgen, daß nicht Sie es ausbaden müssen …«
»Hören Sie, ich habe gerade zu tun. Vielleicht könnten wir uns ein anderes Mal unterhalten. Ich hoffe, daß bei Ihnen alles klappt.«
Er klang distanziert, die Verbindung war unterbrochen. Er war in jeder Beziehung abgewürgt worden. Thatcher war offensichtlich der Meinung, daß die Rechnung beglichen war.
»Und du mich auch, mein Lieber!« brüllte er in den Hörer, bevor er ihn wieder auflegte. Als er sich umdrehte, beobachtete ihn die Empfangsdame ängstlich.
»Falsche Nummer«, sagte er. »Wie läuft’s?«
»Ms. Amalfi, unsere Geschäftsführerin, empfängt Sie jetzt«, sagte sie.
Sie führte ihn aus dem Foyer in ein luftiges Büro, dessen Teppich wie Treibsand war. Man konnte geradezu fühlen, wie er einem das Geld aus der Tasche saugte. Hinter einem Rosenholzschreibtisch stand eine Frau mittleren Alters, die ein elegantes schwarzes Kostüm trug. Die Blässe ihres Gesichts wurde noch von dem pechschwarzen Haar unterstrichen, das sie so streng zurückgekämmt trug, daß es wie aufgemalt aussah. Die Augenbrauen hatte sie völlig ausgezupft, und ihre Lippen waren so zusammengepreßt, daß es schwierig war, festzustellen, ob sie überhaupt Zähne hatte. Was mal etwas anderes war.
»Jancine Amalfi«, sagte sie und gab ihm die Hand. »Es tut mir leid, daß Sie warten mußten. Bitte setzen Sie sich. Man hat mir gesagt, Sie wollen sich danach erkundigen, ob es möglich ist, Ihre Gattin in die Allerdale-Klinik verlegen zu lassen?«
»Das stimmt. Was ich wirklich …«
»Zuerst ein paar Informationen, Mr. Dalziel«, sagte sie und fixierte ihn mit einem Blick, der durch seinen dünnen Packen Travellerschecks ein Loch zu brennen schien. »Verzeihen Sie, daß ich so direkt bin, aber wir machen niemandem falsche Hoffnungen hier im Allerdale, wir halten uns an die Tatsachen. Wir müssen natürlich die Krankenakte Ihrer Frau einsehen, aber wenn Sie mir ihren Fall skizzieren könnten, wäre das sehr hilfreich – sofern Sie in der Lage sind, darüber zu
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