Ins offene Messer
darunter bin ich Gelee.»
«Das glaube ich nicht», sagte Celia. «So ein schlichter Mensch sind Sie nicht.»
«Sie schmeicheln mir, Celia?»
«Warum nicht?» sagte sie lachend. «Sie schmeicheln mir doch auch. Jeder braucht ein wenig Schmeichelei. Es hält uns eine Weile davon ab, uns zu grämen.»
Sam aß seinen Braten und schob den Teller fort. «Waren Sie verheiratet?» fragte er.
Celia schüttelte den Kopf. «Nur mit dem Beruf», sagte sie. «Mit dem Beruf und mit meiner Mutter. Bis vor drei Jahren habe ich mich um sie gekümmert.»
«Ist sie gestorben?»
«Ja. Siebenundneunzig Jahre ist sie geworden. Es war eine große Erleichterung.»
«Keine Männer? Keine Affären?»
Sie schüttelte den Kopf. «Da war ein Freier, als ich jung war, aber ich wollte unterrichten.» Sie lachte. «Ich habe ihn gehen lassen. Dann war da ein Lehrer, ein Witwer, einige Jahre, bevor ich in den Ruhestand getreten bin. Er wollte mich, aber er wollte nicht meine Mutter. Wer könnte es ihm vorwerfen? Also gab es eigentlich keine Männer in meinem Leben. Ich hatte ein Verhältnis mit Englisch, mit dem Unterrichten. Eine leidenschaftliche Affäre mit der Musik. Viele kleine, promiskuitive Affären mit Italien, Paris, Shakespeare, dem Kino und der Religion. Und Sie?»
«Ein Verhältnis mit Donna, meiner ersten Frau. Brenda brachte mehr Leidenschaft in die Ehe, als ich verkraften konnte. Viele kleine, promiskuitive Affären mit Linda, Joyce, Irene, Stella und der Flasche. Einige andere Namen bedeuten heute nicht mehr viel.»
«Wir haben eine Menge Gemeinsamkeiten, Sam, was?»
«Wissen Sie was, Celia? Ich glaube, Sie haben recht. Wenn mir das jemand anderer gesagt hätte, würde ich denken, er wäre verrückt. Aber es klingt ganz so, als wären wir beiden den gleichen Schatten nachgejagt.»
«Nicht nachgejagt, Sam. Wir jagen ihnen immer noch nach. Wenn man damit aufhört, dann ist es Zeit, sich hinzulegen und zu sterben.»
«Soweit bin ich noch nicht», sagte Sam. «Hab immer noch ein schönes Stück der Reise vor mir.»
«Ich werde Chandler noch einmal lesen», sagte Celia. «Mal sehen, ob ich dem Detektivgeschäft etwas abgewinnen kann.»
«Ich habe die Bücher alle», sagte Sam. «Ich bring Sie Ihnen vorbei.»
«Ich besitze selbst einige», sagte sie. «Die werde ich zuerst lesen. Anschließend melde ich mich bei Ihnen.»
Kapitel 20
«Bist du sicher, daß du in das Haus zurück willst?»
Jane sah ihren Schwager an. Er war Terry gar nicht so unähnlich. Drei Jahre älter, wurde bereits grau an den Schläfen. Seine Frau Dorothy stand wie immer hinter ihm, hatte den gleichen besorgten Gesichtsausdruck wie immer.
«Ich meine, ich müßte es tun», antwortete Jane ihnen und dachte gleichzeitig: Glaubt ihr wirklich, ich könnte hier bei euch bleiben?
«Wenn’s zuviel ist», sagte Dorothy, trat nun vor und berührte Janes Arm, «kannst du jederzeit zurückkommen. Wir würden uns sehr freuen.»
Jane versuchte ein zaghaftes Lächeln, zunächst für Dorothy, und dann für Donald. «Das weiß ich», sagte sie. Sie küßte beide auf die Wangen. «Ihr zwei wart fabelhaft.»
Es war die Hölle, bei euch zu sein, dachte sie. Sie waren nicht wirklich Familie. Sie waren nicht ihre tote Mutter. Seit Janes Mutter gestorben war, sie war damals sechs, hatte Jane sich danach gesehnt, von ihr im Arm gehalten zu werden. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals von ihrer Mutter gehalten worden zu sein. Sie war sicher, daß sie es getan hatte, aber daran erinnern konnte sie sich nicht. Wann immer das aufkam - wenn Leute über drei Wünsche redeten oder wenn sie sagten, wenn du haben könntest, was du willst, aber nur eine einzige Sache, was wäre das dann? -, dachte Jane immer: Am liebsten möchte ich von meiner Mutter im Arm gehalten werden.
Als Kind konnte sie es kaum erwarten, erwachsen zu werden, ein Erwachsener zu sein, all diese kindischen Gefühle loszuwerden, wie sich zu wünschen, von der toten Mutter im Arm gehalten zu werden. Sie war frühreif gewesen, verhielt sich gegenüber ihrer jüngeren Schwester selbst wie eine Mutter, lernte früh, andere zu manipulieren, um jeden Preis der Führer zu sein. Wenn dazu Lüge und Manipulation erforderlich war, und natürlich war das so, dann war das in Ordnung. Hauptsache war, Herr einer Sache zu sein. Dafür zu sorgen, daß man der Welt seinen Stempel aufdrückte, und nicht, daß man der Welt hilflos ausgeliefert war. Aber es war trotzdem noch da, lange Zeit, nachdem das Kind
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