Insel der blauen Delphine
gleiche Größe bis auf einen, der ganz außen, von einem Felsblock halb verdeckt, im Geröll hockte. Er musste noch sehr jung sein, etwa halb so groß wie die anderen Bullen. Im Wasser unter ihm spielten weder Kühe noch Kälber, woraus ich schloss, dass er noch keine eigene Herde besaß. Und das bedeutete, dass er nicht so arglistig war und auch nicht so schnell in Wut geriet wie seine älteren Artgenossen. Ich ließ mich so lautlos wie möglich über den Rand der Klippe fallen. Um zu dem jungen Bullen zu gelangen, musste ich hinter den anderen vorbeischlüpfen, ohne ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Die Bullen lassen sich durch nichts erschrecken und würden sich kaum bewegen, wenn sie mich sahen, dennoch hielt ich es für besser, ihre Nähe zu meiden. Ich hatte meinen neuen Bogen bei mir und fünf Pfeile. Der Bogen war fast so groß wie ich selbst. Vorsichtig bewegte ich mich den schmalen Pfad hinunter. Bei jedem Schritt fürchtete ich, an einen der vielen losen Steine zu stoßen, die dann lärmend in die Tiefe kollern und mich verraten konnten. Auch die Kühe durften mich nicht sehen, denn sie erschrecken leicht und hätten mit ihrem Geschrei die ganze Herde gewarnt. Endlich hatte ich den Felsblock erreicht, hinter welchem der junge Bulle saß. Ich richtete mich auf und legte einen Pfeil an die Bogensehne. Dabei kamen mir die warnenden Worte meines Vaters wieder in den Sinn, dass der Bogen in der Hand einer Frau zerbricht, wenn sie ihn zum Töten erhebt. Die Sonne stand im Westen. Ein Glück für mich, dass ich von der Stelle, wo ich mich befand, keinen Schatten auf den jungen Bullen warf. Er hockte nur wenige Schritte vor mir und drehte mir den breiten Rücken zu. Ich hatte keine Ahnung, worauf ich zielen sollte, ob zwischen seine Schultern oder auf seinen Kopf. Der Nacken bot ein besseres Ziel als der verhältnismäßig kleine Kopf, aber in der dicken Fettschicht unter der Nackenhaut würde mein Pfeil vermutlich einfach stecken bleiben, ohne größeres Unheil anzurichten. Noch während ich hinter dem Felsen stand, unschlüssig und der Mahnung meines Vaters eingedenk, dass der Bogen in der Hand einer Frau zerbricht, wenn sie ihn am dringendsten braucht, erhob sich der junge Bulle von seinem Platz und trottete gemächlich auf die Küste zu. Mein erster Gedanke war, dass er aus irgendeinem Grund meine Nähe gewittert hatte. Ich erkannte jedoch bald, dass er nur zu den Kühen gehen wollte, die zur Herde seines Nachbarn gehörten. Trotz seines Umfanges bewegte er sich flink, wobei er seine riesigen Watschelflossen wie Hände benutzte. Als er sich dem Wasser näherte, schoss ich den Pfeil ab. Er flog schnurgerade, drehte jedoch im letzten Augenblick ab und fiel lahm ins Meer. Der Bogen war nicht gebrochen, aber der Pfeil hatte sein Ziel verfehlt. Ein Knirschen hinter mir ließ mich aufhorchen. Mich umwendend gewahrte ich den alten Bullen, den Anführer der Herde, auf welche der junge Bulle es anscheinend abgesehen hatte. Er watschelte an mir vorbei auf seinen Rivalen zu und stieß ihn mit einer einzigen Bewegung seiner mächtigen Schultern zu Boden. Die Wucht des Stoßes war so groß, dass der junge Bulle sich trotz seines beachtlichen Umfangs zweimal überschlug und wie betäubt im Wasser liegen blieb. Jetzt fiel der alte Bulle mit wiegendem Kopf über ihn her. Er bellte dazu so laut, dass es von den Klippen widerhallte. Die Kühe und Kälber, die sich, die Rücken mit ihren Flossen kratzend, in den Wellen vergnügten, richteten sich auf, um dem Kampf zuzusehen. Zwei Kühe standen dem Bullen im Weg, als er auf seinen Nebenbuhler zuwatschelte, aber er trat über sie hinweg, als wären sie Kieselsteine. Mit seinen spitzen Hauern riss er lange Hautfetzen aus der Flanke des jungen Bullen. Irgendwie gelang es dem jungen Bullen, wieder hochzukommen. In seinen blutunterlaufenen Äuglein glitzerte es gefährlich. Der alte Bulle holte zu einem neuen Stoß aus, doch der andere wich geschickt zur Seite und bohrte seine Zähne tief in den Nacken seines Gegners. Er ließ auch nicht locker, als beide wie ein einziger riesiger Knäuel ins Meer rollten. Wasser spritzte nach allen Seiten. Die Kühe waren erschrocken davongelaufen, die anderen Bullen dagegen hockten stumm und unbeteiligt an ihren Plätzen. Eine Zeit lang hielten die beiden Tiere im Kämpfen inne, um Atem zu schöpfen. In diesem Augenblick hätte ich einen Pfeil auf den jungen Bullen abschießen können. Er lag auf dem Rücken, die Zähne immer noch im Nacken seines
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