Insel der Freibeuter
aufnimmt.
Hauptsache, du gehst mir aus den Augen, denn wenn ich dich im Umkreis von zehn Meilen antreffe, laß ich dich einsperren.«
Emiliana Matamoros sagte kein einziges Wort
mehr. Sie wußte, daß es keinen Sinn machte, um
Milde zu flehen. So richtete sie sich mühevoll auf, stolperte fast auf allen vieren die steile Treppe hinauf, wo zwei finster dreinblickende Diener auf sie warteten, die offensichtlich gelauscht hatten und verächtlich auf den Dienstboteneingang deuteten.
»Hinaus mit dir!« knirschte einer zwischen den
Zähnen. »Hinaus mit dir, du verdammte Schlampe!
Davon habe ich immer geträumt!«
Sie hatte das große Tor noch nicht erreicht, da erschien Don Hernando Pedrárias am oberen Ende der
Treppe und befahl kurz angebunden:
»Schickt nach Kommandant Arismendi und dem
Wucherer Don Samuel! Noch heute nachmittag will
ich sie hier sehen!«
Anschließend stieg er in sein riesiges Schlafzimmer hinauf, ließ sich auf das Bett fallen und betrachtete den schweren Baldachin und die gedrechselten Säulen, an die sich Emiliana Matamoros während ihres leidenschaftlichen Liebesspiels vor Jahren so oft geklammert hatte, und dachte an die alten Zeiten, in denen er sich als Herr der reichsten Insel und der schönsten ihrer Frauen fühlen konnte, und er suchte nach dem ungerechten Grund dafür, warum sich
plötzlich alles gegen ihn verschworen hatte.
Was war sein größter Fehler gewesen, und wann
hatte er ihn begangen, zermarterte er sich das Hirn.
Doch da er immer noch der gleiche Mann war, der
die dogmatischen Prinzipien der Casa quasi mit der Muttermilch aufgesogen hatte, hielt er nach wie vor an der Überzeugung fest, daß nicht seine eigenen
Irrtümer, sondern widrige Umstände für seine Mise-re verantwortlich zu machen waren.
Die Austern hatten sich entschlossen, keine Perlen mehr zu produzieren, die Perlentaucher hatten ihm den Gehorsam verweigert, die Piraten hatten sich an seinen Schiffen gemästet, und sogar die baumstarken und unterwürfigen Sklaven hatten sich entschlossen, einfach krank zu werden oder offen zu rebellieren.
Was konnte er für alle diese Dinge und dafür, daß ein undankbares Mädchen, das er wie eine Tochter
behandelt hatte, plötzlich entschlossen war, ihn zu verraten?
Stundenlang blieb er in seinem Schlafzimmer, bis
zur Erschöpfung in seine Grübelei versunken, bis
man ihm die Ankunft von Oberst Arcadio Arismendi
ankündigte, dem Militärkommandanten der Insel.
Ihn hatte er als einen seiner besten Freunde betrachtet, bis man ihn als Sklavenhändler angeklagt hatte.
Er empfing ihn in der Bibliothek. Der schnurrbärti-ge Offizier blickte so abweisend drein, daß Don
Hernando im letzten Augenblick verzichtete, die
Hand auszustrecken.
»Ich bin dir dankbar, daß du gekommen bist. Ich
brauche deine Hilfe.«
»Ehrlich gesagt habe ich lange gezögert, überhaupt zu kommen, doch Mariana hat mich überredet, die
Angelegenheit lieber früher als später zu bereinigen.
Es ist nicht meine Art, Menschen, die am Boden
liegen, noch zu treten, doch du mußt einsehen, daß unsere Beziehung nicht mehr so sein kann wie frü-
her.«
Der Ex-Gesandte der Casa nickte und lud seinen
Gast ein, im Lehnstuhl Platz zu nehmen, in den er sich gewöhnlich selbst zu setzen pflegte, füllte zwei große Gläser mit Rum und bot ihm eines an:
»Ich verstehe. Die Anschuldigungen gegen mich
wiegen sehr schwer, und ich will gar nicht erst versuchen, sie zurückzuweisen. Was ich dir sagen will, ist folgendes: Seine Exzellenz hat mir die Chance geboten, mich zu rehabilitieren, und ich werde alles daransetzen, auch wenn es mich das Leben kostet.«
Er blickte ihm in die Augen. »Was weißt du von
Kapitän Jacare Jack?«
»Nicht mehr als alle anderen«, tönte es verdrossen zurück. »Daß er ein schottischer Dickwanst und
Trunkenbold ist, der harmlos aussieht, aber gele-
gentlich auch ganz andere Seiten aufzieht, wie man hört. Außerdem soll er die Piratengesetze respektieren.«
»Piratengesetze«, regte sich sein Gegenüber auf,
»was soll denn dieser Unfug? Diese Halunken sollen irgendwelche Gesetze haben?«
»Die haben sie tatsächlich«, stellte Don Arcadio
Arismendi etwas belustigt klar. »Ebenso wie wir die unsren haben, was Ehre, Moral oder Sklavenhandel
betrifft. Und wie bei uns gibt es bei ihnen Leute, die sie befolgen, und andere, die sie nicht befolgen.«
»Schön!« gab Don Hernando Pedrárias zu, der um
alles in der Welt Ruhe bewahren wollte. »Vergiß
das!
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