Insel der Freibeuter
Jacare gewissermaßen in ein schwim-
mendes Pulverfaß verwandelt. Die reizvollen Brüste und der sinnliche, stets feuchte Mund eines Mädchens, das zum Teil die erotische Ausstrahlung der Mutter geerbt hatte, konnten sehr gut der Funke sein, der dieses Pulverfaß in die Luft gehen ließ.
Nach dem Abendessen setzte sich Sebastián mit
Celeste und seinem Vater in der Kajüte, die er ihnen überlassen hatte, zusammen, und kam ohne Umschweife zur Sache.
»Ich denke, Lucas hat recht. Am besten, ihr geht in Jamaika von Bord. Dort könnt ihr ohne Furcht vor
Repressalien leben, und ich kann euch häufig besuchen.«
»Und warum machst du es nicht genauso?« fragte
Celeste. »Verkauf das Schiff, kauf dir eine gute
Zuckerhazienda und leb fortan in Frieden.«
»Ich wurde nicht geboren, um Sklaven mit der
Peitsche zum Zuckerrohrschneiden anzutreiben. Und ohne Sklaven ist keine Hazienda rentabel, nicht
einmal auf Jamaika.«
»Willst du lieber weiter Schiffe überfallen?«
»Wenn sie der Casa gehören, ja. Und wenn du
mich fragst, ob ich lieber Pirat als Sklavenhändler bin, dann heißt die Antwort ebenfalls ja.«
»Sklaven zu haben heißt nicht unbedingt, mit Sklaven zu handeln«, gab sein Vater zu bedenken.
»Keine Käufer, keine Händler«, entgegnete Seba-
stian unwirsch. »Daß alle Welt Sklaven hat, ist keine Entschuldigung, selbst welche zu halten. Wenn du
sie gesehen hättest wie ich, in schmutzige Laderäu-me gepfercht, in denen sie kaum atmen konnten,
würdest du meine Haltung verstehen. Sklavenhandel ist das unmenschlichste, bestialischste und würdelo-seste Geschäft auf Erden. Ein Schiff zu entern und zu plündern ist dagegen ein Bubenstreich.«
»Heute denken die meisten Menschen nicht so.«
»Was die Mehrheit denkt, ist nicht wichtig«, be-
harrte sein Sohn mit rauher Stimme. »Wichtig ist
nur, was ich denke. Pirat zu sein ist die gefährlichste Art, frei zu sein, und wer sein Leben für seine Freiheit aufs Spiel setzt, sollte seine Prinzipien nicht verraten und anderen die Freiheit rauben, wie
schwarz ihre Haut auch sein mag.«
»So habe ich dich noch nie reden hören!« bemerkte Miguel Heredia.
»Wahrscheinlich deshalb, weil du mir früher nur
selten zugehört hast«, erinnerte ihn der Margariteno.
»Vielleicht aber auch, weil du dieses Schiff nicht gesehen hast.«
Celeste tätschelte liebevoll die Wange ihres Bru-
ders:
»Es gefällt mir, wie du denkst. Wäre ich ein Mann, würde ich auch so denken und wie du zum Piraten
werden, aber ich verstehe natürlich, daß meine Anwesenheit an Bord die Dinge verkompliziert.« Sie
blinzelte ihn schelmisch an. »Diese armen Jungs
scheinen es ja wirklich sehr nötig zu haben.«
Die kriminelle Besatzung der Jacare »arme Jungs«
zu nennen, war wieder typisch für Celeste Heredia, die offensichtlich das Leben als riesigen Spaß betrachtete, auch wenn dieser Spaß noch vor kurzer
Zeit ein Alptraum gewesen war.
Jetzt, wo sie weit weg von Don Hernando Pedrárias und ihrer Mutter war, schien ihr jegliches Problem bedeutungslos zu sein. Sie schien sich als das glücklichste Geschöpf auf Erden zu fühlen, das ohne Ziel die warme Karibische See befuhr, und das auf einem Schiff, dessen fünfzig Mann Besatzung das letzte
Hemd dafür hergeben würde, sie zu vergewaltigen.
»Wir suchen uns ein schönes Haus auf Jamaika«,
fuhr sie etwas später mit ihrem üblichen Enthusias-mus fort. »Papa und ich werden Hühner züchten und Englisch lernen, und du kommst uns besuchen, wenn du nicht zu sehr damit beschäftigt bist, Schiffe zu entern und Festungen zu überfallen.«
»Wie kannst du das alles so leichtnehmen?« em-
pörte sich Miguel Heredia. »Du redest von Seeräu-
berei!«
»Nach allem, was ich gehört habe«, erwiderte seine Tochter mit verblüffender Gelassenheit, »sind fast alle Einwohner Jamaikas Piraten oder Korsaren, von den Huren, Sklaven und Sklavenhändlern einmal
abgesehen. Glaubst du, daß wir dort aus dem Rah-
men fallen?«
»Du bist unmöglich!«
»Nein, Papa, ich bin nicht unmöglich. Ich bin nur ein Kind meiner Zeit. Seit ich denken kann, habe ich nur von Gewalt, Plünderungen, Überfällen oder versenkten Flotten gehört, und schon als kleines Kind habe ich gesehen, wie du aufs Meer hinausfuhrst,
um in haiverseuchten Gewässern nach Perlen zu
tauchen, die sie dir zu lächerlichen Preisen abkauften. War das vielleicht ein vernünftigerer Beruf, als Pirat zu sein?«
»Jedenfalls war er ehrenwerter.«
»Und wer
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