Insel der Freibeuter
Ballen
goldbestickter Seide aus China, den die Experten auf die fabelhafte Summe von »Tausend Jacobinern«
schätzten.
Vent en Panne akzeptierte den Einsatz und ließ die Würfel rollen, während alle Gäste, die sich in der geräumigen Schenke drängten, den Atem anhielten.
Er warf eine Neun.
Zitternd nahm der Jude die Würfel aus Bein in die Hand, schloß die Augen und warf.
Er hatte eine Elf, und die nächsten acht Male ebenfalls.
Bei Tagesanbruch hatte Vent en Panne alles verlo-
ren, sogar das Hemd, das er am Leibe trug.
Am gleichen Tag heuerte er auf dem Schiff des sa-
distischen L’Olonnois an, um am Angriff auf Mara-
caibo teilzunehmen.
Mit einer beträchtlichen Beute kehrte er zurück,
ging schnurstracks zur alten Schenke, die inzwi-
schen ihm zu Ehren ihren Namen geändert hatte und ließ nach dem Juden Stern schicken.
Wer allerdings kam, war der Gouverneur der Insel, der alles konfiszierte, was er bei sich hatte, und ihm dafür einen Kreditbrief ausstellte, der nur in einer Bank in Frankreich einzulösen war, brachte ihn an Bord des ersten Schiffs, das nach Europa segelte, und verabschiedete ihn mit diesen weisen Worten:
»Was die Flut bringt, nimmt die Ebbe mit, doch in deinem Fall, mein Sohn, ist mir das zuviel.«
Vent en Panne kam Jahre später ums Leben, als ein spanisches Kriegsschiff mit einem Schmugglerschiff aneinandergeriet, auf dem der Pirat nach Jamaika
zurückkehren wollte. Dort wollte er ein riesiges
Vermögen aufs Spiel setzen, das er als Importeur
von Zucker und Rum angehäuft hatte. In Europa
hatte er offensichtlich keinen Gegenspieler gefunden, der es mit dem Juden Stern hätte aufnehmen
können.
In diese verrückte Welt des Spiels, der Frauen, des Alkohols und der Verschwendung, in der die bestia-lischsten und ungebildetsten Piraten in Luxuskaleschen herumfuhren, Seidenhemden trugen und sich
mit Perlen und Smaragden behängten, hielt eines
heißen Mittags die Jacare ihren Einzug. Nachdem
sie die gefährlichen Riffe geschickt umsegelt hatte, glitt sie mit weißer Flagge und verdeckten Kanonen in die Bucht hinein, um ihre Anker zu werfen, nur einen Steinwurf entfernt von einer riesigen Galeone, die fast dreimal soviel Takelage und Tonnage aufwies.
Niemand schien sich auch nur einen Deut um ihre
Anwesenheit zu scheren.
Zu dieser brüllendheißen Stunde, in der nicht die leiseste Brise wehte und die hohe Luftfeuchtigkeit den Schweiß in Strömen fließen ließ, schliefen die Besatzungen der zwei Dutzend Schiffe, deren Masten in der Bucht schaukelten, wie fast die gesamte Bevölkerung von Port-Royal eine friedliche und
wohlverdiente Siesta, um für die näherrückende lan-ge Nacht der Orgien wieder Kraft zu schöpfen.
In Port-Royal war es strengstens verboten, etwas zu tun, was die Schläfer während ihrer so notwendigen Siesta stören konnte. Eines unglücklichen Tages
nämlich war Kapitän John Davis mit übler Laune
aufgewacht, hatte einen Kanonenschacht geöffnet,
sorgfältig gezielt und ein Haus, das gerade am
Strand errichtet wurde, mitsamt sieben lärmenden
Zimmerleuten in die Luft gejagt.
Jamaika war geradezu par excellence der Ort, wo
sich Piraten und Korsaren entspannen und zerstreuen konnten. Es lebte von deren Beute und wuchs mit
deren Plünderungen. Die Spanier hatten die Insel
nicht überfallen, da sie nur zu gut wußten, daß sie auf keine Flotte zählen konnten, die auch nur den Hauch einer Chance gehabt hätte, es mit den verein-ten Kräften der Engländer, Piraten und Korsaren
aufzunehmen.
Kein Wunder, daß dieses Zentrum fabelhafter
Reichtümer und Zerstreuungen Abenteurer, Prostituierte, Glücksritter und Vagabunden aus aller Herren Länder anzog wie Honig die Fliegen, denn an keinem anderen Ort konnte ein Hungerleider binnen
Stunden zum schwerreichen Mann werden und um-
gekehrt.
Einige Meilen von Rocky Point entfernt hatte sich ein gutes Jahrhundert lang ein Barockpalast mit wei-
ßen Marmorsäulen erhoben, den ein verrückt gewor-
dener Wucherer zwei wunderschönen türkischen
Zwillingen geschenkt hatte, kaum hatten die beiden ihre zarten Füße in das beste Bordell der Stadt gesetzt. Einzige Bedingung war, daß kein anderer
Mann die Mädchen jemals mehr zu Gesicht bekom-
men sollte.
Man erzählte sich, daß die Zwillinge, die sich in sexueller Hinsicht am liebsten miteinander vergnügten, das Angebot nur zu gerne annahmen und den
Rest ihres langen Lebens in dem prunkvollen Her-
renhaus verbrachten. Ihre einzige
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