Insel der glühenden Sonne
weiter!
So lief es immer, wenn er an Matt dachte. An die Grausamkeit. Erschüttert betrat er Pollards Kolonialwarenladen, der zur Hälfte Mr. Warboy gehörte, und gab Dossies Einkaufszettel ab.
An Flucht dachte er nicht mehr, er hatte anderes zu tun. Vor allem, Richter Sholto Matson, der für Matts Qualen verantwortlich war, im Auge zu behalten. Manche Männer baten ihn jedoch um Hilfe, und er gab ihnen stets die gleiche Antwort.
»Zu gefährlich, Kumpel. Es gibt keine Chance, du kannst nur deine Strafe absitzen. Das Leben hier ist gar nicht so übel, wenn du erst mal frei bist. Setz dir das als Ziel.«
Manchmal jedoch sah er sich den Mann näher an, um zu prüfen, ob er ein Spitzel war. Überlegte sich Mittel und Wege. Und teilte dem Kameraden dann vollkommen unerwartet mit, dass er nun fliehen könne, falls er noch immer den Fesseln von Van Diemen’s Land entkommen wolle. Auch er selbst hatte den Gedanken an Freiheit noch nicht ganz aufgegeben, wollte aber zunächst seine Pflicht gegenüber Matt erledigen. Auch würde er nicht in sein gequältes Irland zurückkehren, wo er als ehemaliger Sträfling gebrandmarkt wäre und nie ganz sicher sein würde. Er träumte eher von Melbourne, das nur durch die Bass Straße von seiner Gefängnisinsel getrennt lag und eine Art Utopia für ihn bedeutete. Dort konnte ein Mann sich von der Vergangenheit lösen und ein respektables Leben führen.
»Willst du den Kartoffelsack hier lassen?«, erkundigte sich Pollard.
»Nein, den spendet Mr. Warboy der Frauenfabrik.«
»Nett von ihm. Wie kommt er dazu?«
»Mrs. Franklin hat dem Boss einen Haufen Blumenzwiebeln und Schösslinge für den Garten geschenkt, und er wollte sich dafür bedanken. Also sagte sie, die Damen weiter oben an der Straße könnten was aus seinem Garten gebrauchen.«
»Ich hörte, Lady Franklin sei sehr freundlich zu den Frauen.«
Shanahan lachte. »Reden kostet nichts. Mehr tut sie aber auch nicht. Will die Bedingungen verbessern, ihr verdammtes Gefängnis wohnlich machen. Gestern hat sie ihnen wieder mal einen Vortrag gehalten, und die Frauen haben ihr den nackten Hintern gezeigt.«
»Grundgütiger, und was ist dann passiert?«
»Nicht viel. Sie ist abgehauen. Die können ja keine vierhundert Frauen auspeitschen. Und die armen Seelen sind kurz vor dem Verhungern, sie verlangen nur anständige Rationen.«
»Es dürfte nicht gerade hilfreich sein, vor einer Dame die Röcke zu lüften.«
»Nein, aber es hat die Stimmung verbessert. Hätten Sie nicht auch was für die Frauen übrig?«
»Kann ich nicht behaupten«, meinte Pollard unwillig. Sean sprang in den Einspänner und ließ die Peitsche knallen.
Er lieferte die Kartoffeln bei den Frauen ab und sprach heimlich ein paar Worte mit Marie Cullen, die in Matt verliebt gewesen war. Dabei erfuhr er, dass Dr. Roberts anwesend war und sich um einige kranke Insassen kümmerte.
Der Hof der Frauenfabrik stank, doch Sean trödelte, besorgte einen Eimer Wasser für das Pferd und untersuchte seine Fessel, als würde das Tier lahmen. Obwohl die Frauen als Wäscherinnen und Näherinnen arbeiteten – sie fertigten die grobe Sträflingskleidung –, kümmerte sich niemand um die sanitären Bedingungen innerhalb des ummauerten Hofes, und Sean hoffte, er könne den Arzt dazu bringen, eine offizielle Beschwerde einzulegen.
Wie sich herausstellte, brauchte es keinerlei Überredungskunst. Roberts kam mit einem Wärter herausmarschiert, stieß ihn in die grauenhaften, überquellenden Toiletten und verlangte deren Entleerung und Reinigung. Falls er sich weigere, werde er sich bei Seiner Exzellenz, dem Gouverneur, beschweren.
»Ich bin der zuständige Arzt und befehle, dass dies bis morgen Mittag zu geschehen hat, verstanden?«, brüllte er. Vermutlich hört man ihn auf der ganzen Insel, dachte Sean bei sich.
Nach diesem Zusammenstoß kam Roberts zu ihm herüber. »Wie geht es, Shanahan?«
»Erstklassig, Sir. Ich bin jetzt Vorarbeiter auf Mr. Warboys Farm.«
»Hab davon gehört. Anständiger Kerl.«
»Das stimmt. Könnten Sie mir vielleicht Papier und Feder borgen, damit ich an meine Familie schreiben
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