Insel der glühenden Sonne
Siebenundzwanzig Jahre, lebenslänglich, niemand würde auch nur für seinen Grabstein bezahlen, wenn er starb. Wäre Penn nicht gewesen, hätte er Shanahan um Fluchthilfe gebeten. Und bei Gott, er wäre nach Hause gefahren und hätte ihnen die Meinung gesagt! Der Zorn dämpfte ein wenig den Schmerz.
Die anderen zogen ihn auf, weil sie den Brief nicht lesen durften. »Zu persönlich«, knurrte er. Sollten sie denken, was sie wollten.
Shanahans Brief kam von seiner Mutter. Es war eine Qual gewesen, als er seinem Vater von Matts Tod berichten und ihn hatte bitten müssen, den O’Neills die schlimme Kunde zu überbringen. In jenem Brief hatte er ihnen die nackte Wahrheit geschrieben und geschworen, Matt zu rächen, indem er Grover Pellingham und Sholto Matson wegen Verschwörung zur Rechenschaft zog. Er wusste, dass man seine Post seither streng zensierte.
Die Regierung weigerte sich nach wie vor, die Männer anzuklagen, obwohl es öffentlichen Aufruhr wegen des Vorfalls gegeben hatte.
Sean rieb sich das stoppelige Kinn. Im August oder September hatte er den furchtbaren Brief abgeschickt und seither voller Sorge auf die Antwort gewartet. Mit schlechtem Gewissen, da er an Matts Fluchtplan beteiligt gewesen war.
Doch die ganze Sorge war umsonst. Der Brief von zu Hause erwähnte Matt mit keinem Wort, obwohl er volle sechs Monate, nachdem seine Eltern seine Post hätten erhalten müssen, abgeschickt worden war. Offenbar hatte der Zensor seinen Bericht über Matts Verhaftung, Verurteilung und Tod nicht gutgeheißen und schlichtweg gestrichen.
»Die halten alle zusammen«, knurrte Sean und erinnerte sich an die empörten Zeitungsberichte über Matts Tod und die öffentlichen Proteste in Salamanca, an seinen eigenen Kampf um Gerechtigkeit – alles würde mit stoischem Schweigen beantwortet.
»Die meinen, sie können es aussitzen«, hatte er seiner Mutter geschrieben. »Aber ich kämpfe, solange noch ein Funke Leben in mir ist.«
Danach musste Sean alle Briefe, in denen er Matt O’Neills Schicksal erwähnte, von der Insel schmuggeln und die Empfänger bitten, mit größter Vorsicht zu antworten. Die Behörden wachten sorgsam darüber, welche Nachrichten London erreichten, ganz besonders, wenn es um ihre eigenen Beamten ging.
Schlimm war, dass er die schmerzlichen Ereignisse wieder und wieder schildern musste. Es war ohnehin schwer, die langen Zwischenräume zu überbrücken, und es zerriss ihm fast das Herz, als er erfuhr, dass Matts Mutter noch Briefe von ihrem Sohn erhalten und ihm zurückgeschrieben hatte, als dieser längst tot war. In solchen Momenten drohte ihn die Trauer zu überwältigen. Sean faltete den Brief mit dem erbrochenen Siegel auseinander und las die Worte seiner Mutter.
Mein lieber Junge,
ich hoffe, du sprichst täglich deine Gebete, denn durch die Gnade Gottes hast du einen guten Arbeitsplatz und musst nicht mehr in dem dunklen Gefängnis sitzen, in dem wir dich im Geiste immer gesehen haben. Dein Pa hat in letzter Zeit mit der Arthritis in den Händen zu kämpfen, daher übernehme ich das Melken. Katie hat einen Jungen bekommen, den sie nach dir benannt hat, und die Taufe fand am Sonntag statt, zusammen mit einem Gedenkgottesdienst für Matt. Trauere nicht zu sehr, es würde nur dein Herz verhärten. Die O’Neills möchten nicht, dass du leidest. Dein Onkel Patrick war mit Colonel Hastings beim Pferderennen, bei dem auch ein befreundeter Colonel aus Cornwall namens Rothery anwesen war. Dein Pa sagt, Colonels gibt es wohl im Dutzend.
Sean las den Satz noch einmal. Hieß Willem nicht Rothery? Konnte es eine Verbindung geben? Er stammte aus Cornwall, da war er sicher. Vielleicht konnte ihm der Arzt sagen, wo man ihn und George nach der Verhaftung untergebracht hatte.
Patricks Pferd Oberon hat die Guinea Stakes gewonnen. Und eine schlimme Nachricht: Tom Fogarty wurde in Dublin auf offener Straße erschossen, es heißt, es wäre für Home Rule gewesen, wovon wir gar nichts wussten. Die arme Glenna steht jetzt ohne Mann und mit dem kleinen Tom da, angeblich brennt sie vor Zorn auf die Garda, sie war ja immer leicht erregbar. Hanna O’Neill möchte mehr über den Friedhof auf dieser Insel der Toten wissen, auf dem man Matt begraben hat. Das wäre ein Trost für
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