Insel der Nyx: Insel der Nyx, Die Prophezeiung der Götter
jetzt vermutlich keine Zeit mehr. Seine Freundin ist heute aus dem Urlaub zurückgekommen.«
Leándra ließ die Wasserflasche sinken. »Seine Freundin?« Ihre Stimme klang hölzern.
Kimon zuckte genervt mit den Schultern. »Ja, so eine blödeZicke aus Vasilis Klasse. Hält sich für die Schönste und tut immer so, als wäre ich eine lästige Fliege.«
Leándra wich seinem Blick aus. Mit einem seltsamen Nicken wandte sie sich ab.
Eleni sah ihrer Schwester nach, wie sie mit grimmiger Miene zu ihrem Team zurückkehrte und nach ihrer Schaufel griff.
Leándra tat ihr leid. Vasili gefiel ihr offenbar ziemlich gut.
Wie jedes Mal, wenn sie sich traurig fühlte, legte Philine sich zwischen die Wurzeln von Mama Olivia und blinzelte in das silbrig-grüne Laub des uralten Olivenbaumes. Seit sie ein kleines Mädchen gewesen war, hatte ihr Vater ihr erzählt, dass Mama Olivia die Mutter, Großmutter und Urgroßmutter aller Olivenbäume war, die hier in der Schlucht wuchsen. Und Philine liebte den Baum, seit sie denken konnte. Als kleines Mädchen hatte sie noch in den hohlen Baumstamm hineingepasst und war manchmal einen halben Tag lang darin sitzen geblieben, wenn es ihr nicht gut ging.
Jetzt war sie zu groß, um sich in Mama Olivias Bauch zu kuscheln. Aber auch wenn sie zwischen den Wurzeln im Sand lag, fühlte es sich an, als würde der alte Baum sie in den Armen halten.
Die Sonne hatte die dicken Wurzeln erwärmt und Philine strich mit den Fingern über die raue Rinde. Mama Olivia war die einzige Mutter, die sie besaß, und am liebsten wollte sie daran glauben, dass die Seele ihrer echten Mutter in den hohlen Baumstamm geschlüpft war und von dort aus über sie wachte.
Philine schloss die Augen, um die Tränen wegzublinzeln,die sich darin sammelten. Aber es half nicht. Immerzu kehrten ihre Gedanken zu dem Mädchen zurück, das gestern auf den Felsen vor der Bucht gelegen hatte. Wie eine Meerjungfrau war sie erschienen und Philine hatte sofort erkannt, wer es sein musste. Es gab nicht viele Touristen, die den Weg zu diesem Strand entdeckten und alle Menschen aus dem Dorf kannte sie. Nur den Töchtern der Archäologin war sie bis gestern noch nicht begegnet. Ganz Agia Vasiliki redete über sie und bei ihrem letzten Einkauf hatte Philine sogar die Namen der beiden Mädchen aufgeschnappt: Leándra und Eleni.
Georgios, der alte Fischer, hatte erwähnt, dass das kleinere der Mädchen sagenhaft schwimmen konnte. Er erzählte, dass alle gesehen hätten, wie sie in der Strömung um die Klippen herumgeschwommen und anschließend wieder zurückgekehrt war. Bislang war Philine die Einzige gewesen, die in der Strömung schwimmen konnte. Dass dieses Mädchen, Eleni, es auch konnte, erschien ihr wie ein Zeichen.
Philine und Eleni – die beiden Namen kreisten durch ihren Kopf. Philine hatte noch nie eine Freundin gehabt, keine echte zumindest, mit der sie über ihre Geheimnisse reden konnte.
Aber irgendetwas sprach dagegen, Elenis Freundin zu werden. Philine spürte es und Mama Olivias Äste nickten im Meereswind und antworteten mit einem grimmigen Knarren.
»Philine?« Die Stimme ihres Vaters schallte durch den Olivenhain und sie konnte hören, wie seine Schritte im Sand immer näher kamen. Er kannte ihr Versteck und fand sie sofort. »Ach hier bist du.« Er sprach leise und hockte sich neben sie. »Was ist denn los mit dir?«
Philine zuckte mit den Schultern. Was sollte sie ihm sagen?Wie sollte ihr Vater verstehen, was los war? Sie hatte ein fremdes Mädchen gesehen und war traurig, weil sie keine Freundinnen waren. Kein normaler Mensch konnte so etwas begreifen. Sie verstand es ja selbst kaum.
»Willst du nicht mitkommen?« Ihr Vater streichelte über ihre Haare. »Ich habe für uns gekocht und gleich muss ich los zur Arbeit. Ich bin doch heute in der Nachtschicht. Oder soll ich versuchen, den Dienst zu tauschen?«
Philine schüttelte den Kopf. »Nein, nein. Es geht schon.« Sie erhob sich und klopfte den Sand aus ihrem Kleid. Ihr Vater sollte sich keine Sorgen machen. Er sollte nicht ihretwegen hierbleiben. Sie brauchten das Geld, das er in der Fischfabrik verdiente.
Leándra konnte nicht schlafen. Zum tausendundeinsten Mal drehte sie sich von einer Seite auf die andere und versuchte, ihre Gedanken endlich loszuwerden. Aber die Wut brodelte in ihrem Magen und ließ sich nicht beruhigen. Dabei wusste sie nicht einmal, auf wen sie am wütendsten war: auf Vasili, weil er schon eine Freundin hatte, auf Kimon, weil er es
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