Insel der Rebellen
über seine ungewöhnlichen Rechnungen wunderten, die ihm dank einer kreativen Auslegung der zahnärztlichen Gebührenordnung dazu dienten, das Gesundheitssystem des Staates Virginia kräftig zu melken.
Was blieb einem als Zahnarzt denn anderes übrig, dachte Dr. Faux, als sein Einkommen ein wenig auf Kosten des Staates aufzubessern? Er war der festen Überzeugung, dass es sein gutes Recht sei, die Insulaner überflüssigen, schlampigen oder gar fiktiven Behandlungen zu unterziehen, wenn man berücksichtigte, welche Entbehrungen er auf sich nahm. Wer war denn sonst bereit, auf diese gottverlassene Insel zu kommen? Natürlich niemand, wie er jedem unter die Nase rieb, an dem er eine Behandlung oder Scheinbehandlung vornahm. Er rückte die Lampe zurecht und schob einen Spiegel hinter Fonny Boys Backenzähne.
»Scheint ja ganz schön was los zu sein da draußen«, bemerkte Dr. Faux und entschied, dass der Zahn, den er gerade mit einer Füllung versehen hatte, noch eine Wurzelbehandlung vertrug.
»Nun, Fonny Boy, ich sag dir's noch mal, du darfst nicht so viel Limonade trinken. Wie viele Flaschen sind es denn am Tag? Mal ehrlich.«
Fonny Boy hielt fünf Finger in die Luft, während Dr. Faux die Frauen und Kinder vor dem Fenster beobachtete, die an einem geheimnisvollen Streifen herumschrubbten, der auf die Straße gemalt worden war.
»Eindeutig zu viel«, rügte er Fonny Boy, einen großen, schlaksigen Burschen von vierzehn Jahren mit windzerzaustem, von der Sonne weiß gebleichtem Haar und einem Hang zur »Strandräuberei«, das heißt, dass er mit einem Stock oder Netz bewaffnet am Ufer im Wasser umherwatete, um angespülte Schätze aufzuspüren. »Du bist viel kariesgefährdeter als die Mehrzahl der Menschen«, meinte Dr. Faux und wiederholte damit exakt den Satz, den er allen Insulanern einzureden versuchte. »Du solltest es wenigstens mit Diätlimonade versuchen, aber am besten wäre Wasser.«
Fonny Boy hatte den größten Teil seines Lebens auf dem, im oder am Wasser verbracht. Es zu trinken kam ihm ebenso absurd vor wie einem Bauern das Ansinnen, Erde zu essen.
»Nei, das kunn i nöd trinke«, nuschelte er, denn Lippen und Zunge waren taub und fühlten sich zehnmal so dick an wie sonst.
»Das isch alls g'schwolln, da kriäg i kei Luft mär!«
»Was ist mit Mineralwasser? Da gibt's heute richtig gute Sachen, mit Fruchtgeschmack und viel Kohlensäure.« Dr. Faux schaute noch immer zum Fenster hinaus. »Warum kreist das Aufklärungsflugzeug da oben? Und was will der pitschnasse Trooper mit seinem Farbeimer und der Flasche Evian? Und warum laufen sie alle hinter ihm her? Na, wenn die Betäubung noch wirkt, kann ich ja auch gleich deine Zahnklammer nachstellen.«
Dr. Faux hielt einen Moment inne, um einige Gebührensätze und abenteuerliche Diagnosen auf Fonn y Boys dicht beschriebener Karteikarte zu notieren.
»Nei!«, protestierte Fonny Boy. »Davon kriäg i Schmerze in mei Muend. Dä Klammer isch okä, abä die Gummiband fliege allewil usse.«
Fonny Boy hatte sich von Anfang gegen die Klammer gewehrt. Er war auch nicht erbaut gewesen, als der Zahnarzt Anfang des Jahres darauf bestanden hatte, vier vollkommen gesunde Zähne zu ziehen. Fonny Boy hasste es, zum Zahnarzt zu gehen. Er beschwerte sich oft bei seinen Eltern über Dr. Faux und nannte ihn einen Caper, was auf Tangier so viel wie Seeräuber heißt.
»Er hät mer ä Foto von si Auto gzigt«, hatte Fonny Boy gerade kürzlich erst gesagt. »Ä gross schwarz Merser, und si Oll hätt au än, nur in än angere Farb. Wie kunn är so türe Autos han, wenn er ka Geld für unsre Zähn nämmt?«
Das war eine gute Frage, doch wie immer fand Fonny Boy kein Gehör, woran nicht zuletzt sein Spitzname schuld war. Komisch und merkwürdig fanden Nachbarn und Lehrer ihn eben und konnten sich totlachen, wenn er im Spülsaum am Strand nach Schätzen suchte oder seinem inneren Zwang gehorchte und auf seinem Leib- und Mageninstrument spielte.
»I schwörs di«, hatte Fonny Boy seine Tante Ginny Crockett vor kurzem nach einem sonntäglichen Kirchgang sagen hören.
»Er glubbt, dass är ä Kaschtl Gold find, wenn er an dä Kant schauet. Ha! Sin arme Muetter muess allewil schälte u hätt Recht damit. Alls hätt sä fur d' Bueb getan, ond är hätt nöd angers im Si als dä Geschiss an dä Kant u si doofs Brummis.« Womit sie seine Mundharmonika meinte.
»Loss mi domit in Ruah! Er spielet uf däm alten Ding, wo er gaht u staht, und da kummt ja au äbbis Tolls rus!«
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