Insel der Rebellen
Ginnys Freundin meinte natürlich das Gegenteil von dem , was sie sagte, denn es gab niemanden, der fand, dass Fonny Boy anderes als lästigen Lärm zustande brachte, wenn er auf seiner Mundharmonika spielte.
»Si Vatter sollt äm mal ordentlich Schlag verpasse, aber dä isch ja ganz närrisch uff si Bueb«, gab Ginny zurück und meinte dieses Mal genau, was sie sagte, denn Fonny Boys Vater war der festen Überzeugung, dass ihn die ganze Insel um seinen einzigen Sohn beneidete.
»Sobald die Klammer weg ist«, sagte Dr. Faux und streifte sich ein Paar Latexhandschuhe über, für die er den dreifachen Wert berechnen würde, »werden wir wohl acht Vorderzähne überkronen. Wie wär's mit ein bisschen Blut heute Morgen?« Dr. Faux hatte festgestellt, dass es ein einträgliches Geschäft war, Blutproben an dubiose medizinische Labors zu verkaufen, die an geographisch isolierten Populationen genetische Untersuchungen durchführten.
»Nee!« Fonny Boy zuckte im Behandlungsstuhl zusammen und krallte seine Hände so fest um die Armlehnen, dass seine Knöchel weiß wurden.
»Mach dir keine Sorgen wegen der Kronen, Fonny Boy. Ich nehm ganz edles Material. Sollst mal sehen, dann hast du ein Millionen-Dollar-Lächeln!« Was tatsächlich von der Wahrheit nicht sehr weit entfernt war.
In diesem Moment klingelte das alte schwarze Telefon im Behandlungszimmer. Es stammte noch aus der Zeit, als man Kabel mit Stoff isolierte, und wie üblich knackte es in der Leitung.
»Faux«, meldete sich der Zahnarzt.
»I muess mit Fonny Boy schwätze.« Die Stimme des Mannes kam nur mühsam gegen die Störgeräusche im Telefonnetz an.
»Ischä do?«
»Bist du es, Hurricane?«, fragte der Zahnarzt Fonny Boys Vater, der seinen Spitznamen dem Umstand verdankte, dass er wirklich das Temperament eines Hurrikans hatte. »Weißt du, dass du schon längst wieder fällig bist für Check, Reinigung und Blutspende?«
»Gib mer Fonny Boy, bevor i mi vergessn tu.«
»Für dich«, sagte Dr. Faux zu seinem Patienten.
Fonny Boy kletterte vom Stuhl, verscheuchte eine lethargische Fliege und nahm den Hörer. »Jo?«
»Pass guet uff! Schliäss dä Türe zue, das niemand usse kunnt!«, sagte Fonny Boys Vater eindringlich. »Acht druff, dass dä Dentischt doblibt. Es gaht nöd angers, min Liäbä. Es muess sin. Hätt dä Dentischt wieder in dei Zähn herumfuhrwarkt?«
»Das wird der do nöd mache, Papa!«, sagte Fonny Boy, was natürlich zruck gemeint war, also genau das Gegenteil bedeutete: Fonny Boy wollte damit sagen, Dr. Faux habe vor, in seinem Mund keinen Zahn unversehrt zu lassen.
»Nu, hab kei Angscht«, ermutigte Hurricane seine n Sohn.
»Mer gebe äm von si igen Mädzin. Do wiss är, was los isch, ond d' Landjäger au. Zsäm hauet mer alln uff dä Kupf, mei Liäbä. Wart ä Wil, mer si gli do.«
»Mei Fress!«, rief Fonny Boy, sprang zur Tür, ergriff den Schlüssel hinter dem Bild, auf dem Jesus seine Lämmer hütete, und verriegelte das Sicherheitsschloss.
Er wusste nicht recht, warum er Dr. Faux im Behandlungszimmer einsperren sollte, aber der verdammte Pfuscher hatte es verdient, und außerdem war es toll, dass endlich was passierte. Für die Jugend war das Leben auf Tangier entsetzlich langweilig, und Fonny Boy träumte davon, dass er endlich seinen Schatz fand und für imme r fortgehen konnte. Er blickte aus dem Fenster und sah eine Gruppe Fischer in Reih und Glied aufmarschieren, einige mit Holzrudern und Austernzangen bewaffnet.
»Hock di hi ond pass uff, was d' tuscht!«, befahl Fonny Boy dem Zahnarzt.
»Ich muss dir die Watte aus dem Mund entfernen«, erinnerte Dr. Faux seinen Patienten. »Zuerst musst du dich noch mal in den Stuhl setzen, und wenn wir fertig sind, kann ich mich reinsetzen, wenn du willst.« Dr. Faux vermutete, das Lidocain habe Fonny Boy aufgeregt und eine vorübergehende Bewusstseinstrübung ausgelöst.
Selbst der erfahrenste Zahnarzt kann nicht immer wissen, wie ein Medikament auf seine Patienten wirkt, deshalb fragte Dr. Faux stets, ob Allergien oder Empfindlichkeitsreaktionen gegen bestimmte Medikamente vorlägen. Doch die Inselbewohner kamen so selten mit Beruhigungsmitteln, Anästhetika oder Stimmungsaufhellern in Berührung, abgesehen vom Alkohol, den sie aber eigentlich auch nicht trinken durften, dass sie fast jungfräulich in Bezug auf Arzneimittel waren. Daher gaben sie ideale Versuchskaninchen für die Blindversuche mit Placebos und anderen Medikamenten ab, auf deren Genehmigung durch die
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