Insel der Rebellen
gierigen, gleichgültigen Zahnarzt beobachtete, wie er das Essen in sich hineinstopfte.
»I dacht allewil, du bisch dä best, wanns um dä Zähn gaht, Dr. Faux«, brach es aus ihr heraus. »Doch jatzt sah i di zerschtemol, und dos hätt mi zigt, dass i di nimmär vertrue kunn. Mer han us d' Kupf zerbroche über däs, wos du us gtan hascht. I bin jatz wirkli trurig drüber ond han vil nachgdacht, wann i däs Gschirr gspült han, bevor i di das Essen bringt han. Mer han di alls gäbbe, was mer kunn, meischt Essen und guete Wort, wenn du kumme bischt, us z' helfe, ond was hascht macht? Verflixt ond zugnäht, du hascht jäd von us packt ond us die Zäh n versut, damit d' mär vom Staat kriegscht, als du verdienscht.«
»Meine liebe Ginny, Sie wissen, dass das nicht stimmt«, sagte Dr. Faux mit falscher Liebenswürdigkeit. »Erstens werden die Abrechnungen der Zahnärzte ständig von den Behörden überprüft. Selbst wenn ich so etwas vorhätte, würde ich damit nie durchkommen. Ich schwöre und küsse auf die Bibel«, womit er eine Lieblingswendung der Inselbewohner verwendete, »dass es die reine Wahrheit ist!«
»Das isch nu alls vorbi!«, erklärte Ginny, womit sie ihm zu verstehen gab, dass sie genug von seinen Geschichten hatte.
Ha, dachte Ginny bitter. Da würde doch eher die Hölle einfrieren, als dass ein Behördenvertreter die Fähre bestieg und in den Mündern der Einwohner herumstocherte, um festzustellen, ob eine Behandlung wirklich durchgeführt worden oder notwendig gewesen war. Sie versuchte, den Hass in ihrem Herzen fortzubeten. Dazu erinnerte sie sich daran, dass sie ohne Dr. Faux weder dritte Zähne noch Haftcreme noch Gratisproben Mundwasser hätte. Wahrscheinlich besäße sie gar keine Zähne mehr, abgesehen von den echten, die laut Dr. Faux wegen Abszessen, Karies, Parodontose, Überbissen und wegen vieler anderer Dinge, die sie schon wieder vergessen hatte, gezogen werden mussten.
»I will nimmär hasse«, betete sie leise, doch die Wirklichkeit lastete wie ein schwerer Stein auf ihrer Seele, der sich nicht so einfach beiseite schieben ließ.
Tatsächlich war sie sehr schockiert gewesen, als sie erfuhr, dass sie so schwerwiegende Zahnprobleme hatte, aber sie hatte Dr. Faux vertraut. Noch vor wenigen Jahren waren ihre Zähne wunderbar in Schuss gewesen, und di e Leute hatten ihr hübsches Lächeln bewundert. Schließlich hatte sie seit ihrer Kindheit keine Karies mehr gehabt, und jetzt hatte sie plötzlich keinen einzigen Zahn mehr im Mund. Je länger sie darüber nachdachte, während sie die Krankenstation abschloss und die dunkle Straße hinunterfuhr, desto finsterer wurden die Gedanken, die sie sich über Dr. Faux machte. Wie oft hatte er ihr erzählt, die Inzucht sei schuld, dass alle Inselbewohner mit schlechten Zähnen und der Tangier-Krankheit zur Welt kämen? Wie viele Geschichten gab es über Füllungen, die herausfielen, Wurzelkanäle, die sich entzündeten, oder Kronen, die wie Klaviertasten aussahen und ohne erkennbaren Grund auseinander brachen?
Oje oje oje, dachte sie, während sich Ärger und Trauer in ihrem Herzen mischten und sie die gemalten Linien auf der Janders Road überquerte. Vielleicht sollten sie Dr. Faux so lange gefangen halten, bis ihm alle Zähne ausfielen. Bis auch er mit einem klappernden Gebiss herumlief, das schlecht saß, ständig am Gaumen scheuerte und ihn immer wieder dazu zwang, eine Mahlzeit ausfallen zu lassen. Bis er beim Anblick eines Maiskolbens von einer Mischung aus hilflosem Verlangen und Verlust überwältigt wurde oder bis er merkte, wie peinlich es war, wenn man sich am Telefon anhörte, als würde man mit Kastagnetten klappern.
»Schätzen, du bisch jo ganz uffgregt! Und hascht Träne in dei Aug!« Ginnys Ehemann bemerkte, dass sie schluchzte, während sie ins Haus lief und die Tür hinter sich zuschlug.
»I will mei Zähn!«, schrie sie hysterisch.
»Weischt nöd, wo du sä hinlagt hascht?«, sagte er und begann nach dem Marmeladenglas zu suchen, in dem sie ihr Gebiss normalerweise aufbewahrte. »Mei Fress, wo kunnt sä bloß sin?« Und, nachdem er seine Brill e aufgesetzt hatte: »Hascht sä würkli nöd in dei Mund, Ginny?«
Eine historische Fußnote von Trooper Trut h Auf den ersten Blick scheint es nicht ganz richtig zu sein, diesen Exkurs als Fußnote zu bezeichnen, denn wie der geschätzte Leser unschwer erkennen wird, gibt es hier keine paginierten Seiten wie in einem gedruckten Werk.
Allerdings ist eine Fußnote nicht
Weitere Kostenlose Bücher