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Insel der Schatten

Insel der Schatten

Titel: Insel der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wendy Webb
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Fenster – ein Zeichen dafür, dass ihr toter Sohn sie noch immer beschützt. Eine andere Familie findet an den seltsamsten Orten Geldmünzen: in ihren Schuhen, auf dem Boden eines Topfes mit Blumenkohl oder sogar in einem Eiswürfel. Auf diese Weise geben die Toten den Lebenden zu verstehen, dass sie noch immer in ihrer Nähe sind und ein Auge auf sie haben.«
    Weder Will noch ich sagten ein Wort. Wir saßen nur da, hielten uns an den Händen und schüttelten ungläubig die Köpfe. Wenn es doch nur Münzen oder Schmetterlinge wären, über die wir uns Gedanken machen müssten!
    Endlich sagte Mira: »Nun, eines haben wir heute Abend zumindest erreicht.«
    »Was denn?«, wollte ich wissen.
    »Jetzt steht tatsächlich fest, dass du einen Geist im Haus hast, Hallie. Drei Geister, um genau zu sein. Penelope, Patience und Persephone.«
    »Und was nun?«, fragte ich. Ich wusste nicht mehr weiter. Und ich war plötzlich todmüde, wollte nur noch in Wills Armen einschlafen, ohne von tückischen, blutrünstigen Wesen heimgesucht zu werden.
    »Morgen leiten wir Phase Zwei ein«, lächelte Mira.
    »Was sieht die vor?«
    »Sie zu vertreiben«, sagte sie ruhig. »Ich nehme an, du willst in diesem Haus wohnen bleiben, richtig?«
    »Allerdings.«
    »Und ich nehme an, du willst die Mädchen loswerden.«
    »Und ob ich das will!«
    »Nun, es gibt Wege, dieses Problem zu lösen.« Mira schob ihren Stuhl zurück. »Aber ich denke, für heute reicht es erst mal.«
    Ich wollte nicht, dass sie ging. Offen gestanden hatte ich Angst, heute Nacht in diesem Haus zu bleiben. Und dann kam mir ein Gedanke. »Könnten Will und ich diese Nacht nicht bei dir unterkommen? Die Aussicht, hier schlafen zu müssen, behagt mir nicht sonderlich.«
    »Du kannst dein altes Zimmer haben.« Mira tätschelte verständnisvoll meine Hand.
    »Wir können auch zu mir gehen«, schlug Will vor.
    Doch ich schüttelte den Kopf. »Du wohnst auf der anderen Seite der Insel, Mira nur ein Stück die Straße hinunter. Außerdem haben die Hunde in deinem Wagen keinen Platz, und ich lasse sie hier bestimmt nicht alleine zurück.« Ich wandte mich an Mira. »Ich kann sie doch mitnehmen, oder?«
    Sie nickte rasch. »Eigentlich gestatte ich keine Haustiere in meiner Pension, aber für dich mache ich eine Ausnahme.«
    Und so verließen wir an jenem Abend alle drei mein Haus.
    Im Nachhinein sehe ich ein, dass das ein Fehler gewesen war. Wenn Will und ich in dieser Nacht im Haus geblieben wären und den Mädchen die Stirn geboten hätten, wäre uns das, was am nächsten Tag geschah, vielleicht erspart geblieben.

Dritter Teil

30
    »Alleine gehst du mir nicht dorthin zurück«, sagte Will am nächsten Tag beim Frühstück zu mir.
    Nachdem wir in Miras Kutsche durch den Regen gefahren und schließlich im Manitou Inn angekommen waren, hatten wir sofort unser Zimmer bezogen und waren dann in einen tiefen Schlaf gefallen, aus dem wir erst am späten Vormittag erwachten. Da ich noch nicht einmal Kleider zum Wechseln dabeihatte, erwog ich, kurz zum Haus zurückzugehen und ein paar Sachen zusammenzupacken.
    »Es ist heller Tag«, versuchte ich Wills Bedenken zu entkräften. »Was soll da groß passieren? Und außerdem wohne ich ja nicht erst seit gestern dort. Hätten die Drillinge Schlimmeres mit mir vor als mich zu erschrecken, hätten sie reichlich Gelegenheit dazu gehabt. Ich fürchte mich nicht, weißt du? Letzte Nacht sah das anders aus, das gebe ich zu, aber jetzt nicht mehr.« Ich versuchte mir selbst Mut zuzusprechen.
    Mira war in die Stadt gefahren, um Einkäufe zu erledigen, und konnte mich daher nicht von meinem Vorhaben abbringen. Will war von meiner neu erwachten Courage nicht recht überzeugt, das spürte ich. Er schüttelte zweifelnd den Kopf, und erst da fiel mir auf, dass die Kratzer auf seinem Gesicht fast verschwunden waren. Nur ein paar feine Linien verliefen noch über seine Wangen. Es war, als wären auch sie durch Miras Séance heraufbeschworene Fantasiegebilde, die sich beim ersten Tageslicht in Luft auflösten.
    »Ich wünschte wirklich, du würdest mit mir in die Stadt kommen«, grummelte Will, wohl wissend, dass er diesen Kampf nicht gewinnen würde.
    »Es ist ein schöner Tag«, wiederholte ich, obwohl das angesichts des Gegenstandes unserer Diskussion ziemlich unerheblich war. Aber es stimmte trotzdem. Es war einer jener seltenen Spätherbsttage, die die Menschen, die sich schon auf den Einbruch von Schnee, Graupel und Kälte gefasst machten, mit fast

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