Insel der schwarzen Perlen

mein unbekannter Großvater uns hinterlassen!
    Keanu ist einsilbig, wenn ich versuche, von ihm mehr über die Familienzusammenhänge zu erfahren, er will nicht darüber reden. Es seien alles Spekulationen und Vermutungen, selbst die Tatsache, dass der Mann aus der Tiefgarage in Nizza ebenfalls ein Nachfahre von Elisa Vogel ist.
    In ein paar Stunden kommen hoffentlich mal wieder die Bauarbeiter, doch ich wollte dir unbedingt heute noch schreiben, obwohl ich mit dem Haus und dem neuen Museum sehr viel zu tun habe. Doch es ist schon wieder einen Monat her, und obwohl du mich schon bald besuchen wirst, brauche ich mehr Kontakt. Seit ein paar Tagen funktioniert unsere Laptop-Nabelschnur, sprich das Internet, von unserem Grundstück aus. Mein Kommunikationsbedürfnis ist daher enorm! Bitte verzeih, wenn dieser Brief lang wird.
    Dir kann ich meine dunklen Gedanken eher anvertrauen als Keanu. Mein geliebter Schatz denkt in vielen Dingen anders als ich und will bis nach der Geburt unseres Kindes so wenig wie möglich über Elisa Vogels Kampf hören. Er hat Angst, es würde mich zu sehr runterziehen. Er will noch nicht einmal, dass ich nach den schwarzen Perlen suche. Ja, da wunderst du dich, nicht wahr? Erst erzählt er mir ausführlich von seiner spannenden Haifischfrau – Ahnin aus Deutschland. Dann hat er Angst, dass es dem Baby schaden könnte!
    Der Aberglaube, sage ich dir, lebt hier in allen Ecken. Oft ist mein Liebster tagelang weg, dann fehlt mir die Zuversicht, dass Kauai je so etwas wie eine Heimat für mich und mein Kind werden wird. Viel ist ungewohnt schwer in diesem Paradies. Müsste ich es mit geschlossenen Augen beschreiben, ist es klebrig, zäh und droht mir den Atem zu nehmen. Ich spüre diese seltsame zerstörerische Kraft übrigens, sobald ich unser Grundstück betrete. Daher befahre ich es jetzt lieber … kleiner Scherz. Doch unsere Zufahrtstraße ist wirklich gerade erst fertig planiert worden. Ich fahre also mit meinem kleinen Auto bis direkt an die Baustelle. Doch dieses wilde Dunkel, das Applerock meiner Meinung nach umgibt, fühle ich selbst im geschlossenen Wagen mit Klimaanlage und lauter Musik. Es ist einfach da.
    Nachts treibt mir eine ungewisse Angst vor der Zukunft den Schweiß auf die Stirn. Dann wache ich mit klopfendem Herzen auf. Wie ein Wasserfall prasseln negative Gedanken auf mich nieder und jagen im Galopp mit mir fort. Zum Beispiel kommt mein Kind behindert zur Welt, oder meine Mutter ertrinkt im Schwimmbad … manchmal stirbst auch Du bei einem Autounfall, und einmal wurde Keanu nachts von dem Haifischmann in Nizza in der Parkgarage erschlagen. Es ist grauenhaft!!!
    Hier meine Lieblingsvermutungen: Entweder ich habe einen an der Waffel und bin dabei, meinen Verstand zu verlieren, oder etwas stimmt energetisch nicht mit diesem Ort.
    Beides habe ich erforscht, so weit es ging. Meine dunklen nächtlichen Vorahnungen könnten etwas mit einer Hysterie im Zusammenhang mit einer Herzrhythmusstörung zu tun haben, die in der Schwangerschaft öfter auftritt. Das meinte Mama vor Kurzem. Ihr nüchterner Rat lautete, ich solle zu einem Kardiologen gehen. Dazu dringend ein Magnesiumpulver zur nächtlichen Entspannung einnehmen. Es soll auch gegen Wadenkrämpfe helfen. Dann hat sie mich gefragt, ob ich Angst vor der Verantwortung für das Baby habe. Aber Keanu und ich freuen uns wie Schneekönige auf unser Kind! Wir lieben uns sehr und freuen uns darauf, von dieser Liebe etwas abzugeben. Ich weiß, es ist ungewöhnlich, denn wir kennen uns noch nicht einmal ein Jahr. Aber so ist es eben.
    Ãœbrigens: Mein Südseeparadies, wie ich es mir erträumte, gibt es in der heutigen Zeit hier nicht mehr. Am Tag des Fukushima-Erdbebens, als wir hier die Tsunami-Warnung hatten, wurden wir mitten in der Nacht von der Feuerwehr evakuiert. Ach ja, das hatte ich dir schon über Skype erzählt, nicht wahr? Doch wusste ich da noch nicht, dass jemand in unserer Abwesenheit im Container meine Sachen durchwühlt haben muss.
    Fazit: Mir fehlen zwei meiner Tagebücher, fast alle Recherchen über Elisa Vogel, aber auch der schöne Rubinring, den ich von Papa zum Abitur bekommen hatte. Das einzige Erbstück meiner Großmutter.
    Keanu glaubt natürlich nicht, dass wir bestohlen wurden. Er denkt, meine Sachen werden wieder auftauchen, wenn wir in unserem echten Zuhause all unsere Kisten auspacken. Mal sehen!
    Danke