Insel der schwarzen Perlen

Gesetze und Vorgaben der neuen Regierung, die den Ärzten diese Macht verliehen. Eine Kahuna wie Elisa würde man zu diesem Thema niemals befragen. Sie hatte keinerlei Befugnis, im Gegenteil, sie musste sich in Acht nehmen. Seit die neue Regierung an der Macht war, saßen einige Kahuna wegen Scharlatanerie im Gefängnis.
    Letztendlich wusste niemand genau, ob all diese Verdammten wirklich von der Seuche befallen waren. Man munkelte, dass Mai Pake bisweilen auch nur ein Vorwand war, um zu plündern und allzu aufsässig gewordene Hawaiianer loszuwerden.
    Angeblich hatte es auf Oahu mehrere Fälle gegeben, die medizinisch nicht eindeutig waren. Das hatte Kelii erzählt, nachdem er vor einem Mond seine Mutter bei Königin Lili’uokalani besucht hatte.
    Erschreckende Geschichten kursierten in der Hauptstadt über einige Königstreue, die der neuen amerikanischen Regierung unbequem waren und deshalb als Mai-Pake-Kranke aus dem Weg geschafft wurden.
    Elisas Herz war schwer wie Blei. Immer noch standen die Männer unter dem Baum. Sie sah, wie sich zwei der Polizisten Handschuhe überzogen, während der Doktor sich mit Piet van Ween beriet. Immer wieder sah Wellington zu ihr herüber, doch er grüßte sie noch nicht einmal mit einer Geste. Das bedeutete nichts Gutes. Immer noch war Elisas Misstrauen gegen den alten britischen Doktor, der sie vor Jahren so fahrlässig behandelt hatte, dass sie beinahe ihr Bein verloren hätte, gewaltig. Medizinisch war der Mann ihrer Meinung nach untauglich. Ihr Onkel hatte dem Doktor damals vorbehaltloses Vertrauen geschenkt, weswegen Elisas Bein nach dem Angriff durch den Hai beinahe amputiert worden wäre. Kelii hatte Elisa in letzter Minute vor einem Leben als Krüppel gerettet.
    Â»Pele, hilf uns, hilf auch dem kranken Mädchen mit den grünen Augen, und verzeih mir meine dummen Gedanken … Bitte Pele, hilf uns!«
    Amala hatte begonnen, neben Elisa laut zu beten. In ihren stampfenden Singsang stimmten die anderen Tutus eine nach der anderen ein. Die hypnotisierenden Stimmen der alten Frauen ließ sie Kinder stumm werden. Sie hielten sich bei den Händen. Ungefähr zwanzig Frauen und dreimal so viele Kinder standen mit Elisa und Amala am Dorfeingang und bildeten eine Kette.
    Â»Große Göttin Pele, bitte hilf uns … wende das Unheil der Krankheit der Chinesen von unserem Dorf ab …«
    Energisch packte Elisa ihre Freundin bei den Schultern. »Beten reicht nicht! Wir müssen uns etwas einfallen lassen. Niemand aus unserem Dorf wird mitgenommen, hörst du! Niemand!«

2. Kapitel
Applerock, Frühjahr 2011
    Maja schreckte von dem Zucken ihres Beins abrupt aus dem Schlaf. Ein Krampf, der sie jetzt öfter im Schlaf überraschte, hatte ihren Wadenmuskel hart wie Stein werden lassen. Sie war einen kurzen Moment lang verwirrt, bevor sie sich an das erinnerte, was ihr Herz zum Rasen brachte. Sie hatte von Elisa geträumt. Es war das erste Mal seit Monaten.
    Draußen begann der Morgen, der Sturm hatte nachgelassen, und Vögel begrüßten zwitschernd den neuen Tag. Keanu schlief noch. Leise stahl sie sich aus dem Bett an ihren Computer, um ihrer Freundin endlich zu schreiben.
    Liebste Ina,
    da bin ich wieder! Aloha vom Applerock! Wie geht es dir? Was macht der Apfelbaum vor deinem Fenster? Blüht er schon? Stell dir vor, ich habe gerade wieder von Elisa geträumt! Sie war mir ganz nah … und ebenfalls schwanger!
    Meine Recherchen über Elisa gehen genauso langsam voran wie unser Hausbau. Wie es aussieht, hatte Elisa sich mit einem mächtigen Mann angelegt, ich weiß nur noch nicht genau wie. Wenn es darum ging, den Einheimischen ihr Land zu stehlen, haben sich die Weißen zusammengetan, Amerikaner und auch einige Europäer beziehungsweise Deutsche. Ich schämte mich, als ich es las, obwohl über hundert Jahre zwischen mir und der brutalen Kolonialherrschaft liegen …
    Ãœbrigens – mit meinem Schatz kann ich nicht gut darüber reden. Keanu will nicht in der Vergangenheit stochern, sagt er, weil er seine Kraft für den heutigen Kampf der Hawaiianer braucht. Es geht um Energieressourcen und natürlich um Landbesitz. Es ist daher ein Wunder, dass ausgerechnet ich Applerock besitze. Mein Stück Land hier ist über eine Million Dollar wert! Wir mussten es wegen des Kredits für den Hausbau von der Bank schätzen lassen. Eine Million Dollar! Einen solchen Wert hat