Insel der Sehnsucht: Roman (German Edition)
daß ich sie später begrüßen werde. Wenn Jo Ellen mir etwas zu sagen hat, kann sie es dann tun.«
»Bald wirst du feststellen, daß du ihr etwas zu sagen hast, daß du ihnen allen etwas zu sagen hast.«
Sie ließ ihn allein und hoffte, daß er es bald selbst merken würde.
Vier
Brian stand in der Tür der nach Westen gewandten Terrasse und betrachtete seine Schwester. Er stellte fest, daß sie zerbrechlich und verängstigt wirkte. Irgendwie verloren im gleißend hellen Sonnenlicht zwischen all den Blumen. Sie trug immer noch die Kleidung, in der sie angekommen war, die weite Hose und den übergroßen Pulli, und eine Sonnenbrille mit runden Gläsern.
Aber sie ist schon immer hart im Nehmen gewesen, erinnerte er sich. Schon als kleines Mädchen hatte sie immer alles allein machen wollen, hatte allein alle Antworten finden, allein jedes Puzzle zusammensetzen, allein jeden Kampf ausfechten wollen.
Sie hatte nie Angst gehabt, war höher als alle anderen in die Bäume geklettert, weiter als alle anderen aufs Meer hinausgeschwommen, schneller als alle anderen durch den Wald gerannt. Nur um zu zeigen, daß sie es konnte. Es kam ihm vor, als hätte Jo Ellen immer irgend etwas beweisen wollen.
Und nachdem ihre Mutter fortgegangen war, schien Jo Ellen mit aller Kraft demonstrieren zu wollen, daß sie außer sich selbst nichts und niemanden brauchte.
Aber jetzt, dachte Brian, scheint ihr doch etwas zu fehlen. Er trat hinaus in den Garten und sagte nichts, als sie ihm den Kopf zuwandte und ihn durch die getönten Gläser ihrer Sonnenbrille anblickte. Schweigend setzte er sich neben sie in den Schaukelstuhl und stellte den Teller, den er mitgebracht hatte, auf ihrem Schoß ab.
»Iß«. Mehr sagte er nicht.
Jo blickte auf das gebratene Hühnchen, den frischen Krautsalat, die goldgelben Kekse. »Ist das heute das Mittagessen?«
»Die meisten Gäste haben eine Lunch-Box mitgenommen. Viel zu schönes Wetter, um drinnen zu essen.«
»Kate hat erzählt, du hättest sehr viel zu tun.«
»Ziemlich viel.« Er setzte den Schaukelstuhl in Bewegung. »Warum bist du eigentlich hier, Jo?«
»Schien mir im Augenblick genau das Richtige zu sein.« Sie nahm einen Hühnerschenkel vom Teller und biß hinein. Ihr Magen zog sich kurz zusammen, als wüßte er noch nicht so genau, ob er mit etwas Eßbarem einverstanden sein sollte. Aber Jo bestand darauf und schluckte den Bissen hinunter. »Ich erledige einfach meinen Teil der Arbeit und werde dir ansonsten nicht in die Quere kommen.«
»Ich habe nie gesagt, daß du mir im Weg bist«, bemerkte er mild.
»Dann eben Lexy.« Jo biß noch einmal von dem Hühnerschenkel ab und blickte mit finsterer Miene auf die hellrosa Geranien, die aus einem mit pausbäckigen Putten verzierten Steinbottich quollen. »Du kannst ihr sagen, daß ich nicht gekommen bin, um ihr auf die Nerven zu gehen.«
»Sag’s ihr am besten selbst.« Brian öffnete die mitgebrachte Thermoskanne und goß die frisch zubereitete Limonade in den Becher. »Ich werde mich hüten, den Vermittler zwischen euch zu spielen. Ich hab’ nämlich keine Lust, von beiden Seiten Schläge zu kassieren.«
»Gut, dann halt dich eben raus.« Ihr Kopf begann wieder zu schmerzen, aber sie nahm den Becher und trank. »Ich hab’ wirklich keine Ahnung, warum sie so sauer auf mich ist.«
»Wirklich nicht?« Brian zögerte einen Moment, dann setzte er die Thermoskanne an den Mund und trank direkt daraus. »Du bist erfolgreich, bekannt, finanziell unabhängig, ein aufgehender Stern auf deinem Gebiet. All das, was sie selbst gerne wäre.« Er nahm einen Keks, brach ihn in der Mitte durch und reichte Jo eine Hälfte.
»Ich habe es ganz allein geschafft, und zwar nur für mich selbst. Ich habe mir bestimmt nicht den Arsch aufgerissen, nur um sie in den Schatten zu stellen.« Ohne nachzudenken stopfte sie sich den Keks in den Mund. »Es ist doch nicht meine Schuld, daß sie die kindische Vorstellung hat, ihren Namen in bunter Neonschrift blinken zu sehen und von ihrem begeisterten Publikum mit Rosen überhäuft zu werden.«
»Auch wenn du es für kindisch hältst, ist es ihr größter Wunsch.« Er erhob die Hand, bevor Jo das Wort ergreifen konnte. »Und ich werde mich hüten, zwischen eure Fronten zu geraten. Ihr könnt meinetwegen aufeinander losgehen, aber in deinem Zustand würdest du wahrscheinlich den kürzeren ziehen.«
»Ich will mich doch gar nicht mit ihr streiten«, entgegnete Jo wütend. Sie konnte den Duft des Blauregens riechen,
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