Insel der Sehnsucht: Roman (German Edition)
Augen, und wie es bei Männern oft der Fall war, gewann sein Gesicht dadurch.
Er hatte große Hände und Füße, beides hatte er seinem Sohn vererbt. Aber Kate wußte, daß sich Sam mit einer fast unheimlichen, geräuschlosen Anmut bewegen konnte, wie es keinem Stadtmenschen jemals gelungen wäre.
In zwanzig Jahren hatte er sie weder je willkommen geheißen noch zum Gehen aufgefordert. Sie war einfach gekommen und geblieben und erfüllte einen Zweck. In schwachen Momenten erlaubte sich Kate die Frage, was er wohl denken oder tun oder sagen würde, wenn sie einfach ihre Koffer packen und gehen würde.
In fast jedem Augenblick dieser zwanzig Jahre hatte sie Sam Hathaway geliebt.
Kate straffte die Schultern, hob das Kinn. Obwohl er vermutlich schon gemerkt hatte, daß sie da war, würde er erst mit ihr reden, wenn sie ihn ansprach.
»Jo Ellen ist mit der Morgenfähre gekommen.«
Sam wandte den Blick nicht von dem kreisenden Falken. Ja, er hatte Kate bemerkt, und er wußte, daß ein ihrer Meinung nach wichtiger Grund sie in die Sümpfe geführt haben mußte. Denn Kate mochte weder das Sumpfland noch die Alligatoren.
»Warum?« Das war alles, was er sagte, und Kate stöhnte ungeduldig auf.
»Sie ist hier zu Hause, oder etwa nicht?«
Seine Stimme klang schleppend, so als würde er die Worte nur widerwillig formen. »Kann mir nicht vorstellen, daß sie es so sieht. Hat sie jahrelang nicht getan.«
»Ganz gleich, wie sie es sieht, es ist ihr Zuhause. Du bist ihr Vater und wirst sie begrüßen wollen.«
Er sah ein Bild seiner ältesten Tochter vor sich. Und darin erkannte er so klar und deutlich seine Frau, daß ihn Wut und Verzweiflung überkamen. Aber seine Stimme klang gleichgültig. »Später, wenn ich wieder zurück bin.«
»Es ist fast zwei Jahre her, daß sie zum letzten Mal zu Hause war. Sam, komm mit und begrüß deine Tochter.«
Ärgerlich und verunsichert trat er von einem Bein aufs andere. »Es ist noch genug Zeit, es sei denn, sie hat vor, mit der Nachmittagsfähre wieder zurück aufs Festland zu fahren. Wenn ich mich recht erinnere, hat sie’s noch nie lange an einem Ort ausgehalten. Damals konnte sie es kaum erwarten, von Desire zu verschwinden.«
»Aufs College gehen, einen Beruf erlernen und sich ein eigenes Leben aufbauen ist nicht einfach verschwinden.«
Obwohl er sich weder bewegte noch einen Ton von sich gab, wußte Kate, daß dieser Hieb gesessen hatte, und gleichzeitig bedauerte sie, daß es notwendig gewesen war, ihn auszuführen. »Sie ist zurückgekommen, Sam. Und ich bin sicher, daß sie eine Weile bleiben wird. Aber darum geht es doch gar nicht.«
Kate trat zu ihm, packte seinen Arm und zwang ihn, sie anzuschauen. Manchmal mußte man Sam etwas härter anfassen, damit er begriff. Und das würde sie nun tun.
»Sie leidet. Sie sieht nicht gut aus, Sam. Sie hat stark abgenommen und ist weiß wie die Wand. Sie sagt, sie sei nicht krank gewesen, aber ich weiß, daß sie nicht die Wahrheit sagt. Sie sieht aus, als würde sie jeden Augenblick zusammenklappen.«
Zum ersten Mal huschte ein Schatten der Besorgnis über sein Gesicht. »Ist sie bei ihrer Arbeit verletzt worden?«
Na endlich, dachte Kate, aber hütete sich, ihre Befriedigung zu zeigen. »Es ist nicht diese Art von Verletzung«, sagte sie mit weicherer Stimme. »Es ist eine innere Wunde. Man kann sie nicht sehen, aber sie ist da. Sie braucht ihr Zuhause, ihre Familie. Sie braucht ihren Vater.«
»Wenn Jo ein Problem hat, wird sie schon allein damit klarkommen. War doch immer so.«
»Weil ihr nie etwas anderes übriggeblieben ist«, entgegnete Kate. Sie hätte ihn am liebsten so lange geschüttelt, bis sich der Riegel löste, der sein Herz verschloß. »Verdammt, Sam, sei doch einmal für sie da.«
Er schaute an Kate vorbei hinaus auf die Sümpfe. »Sie braucht keinen Vater mehr, der ihre Wunden und Kratzer verarztet. Die Zeiten sind vorbei.«
»O nein, da täuschst du dich.« Kate gab seinen Arm frei. »Sie ist noch immer deine Tochter. Und sie wird es immer bleiben. Belle ist nicht die einzige, die weggegangen ist, Sam.« Sie beobachtete, wie sich sein Gesicht bei ihren Worten verfinsterte, und schüttelte wütend den Kopf. »Auch Brian und Lexy haben sie verloren. Aber sie hätten nicht auch noch dich verlieren müssen.«
Seine Brust hatte sich zusammengeschnürt. Er wandte sich ab und blickte wieder über die Sümpfe. Er wußte, daß der innere Druck wieder abnehmen würde, sobald er alleine war. »Ich habe gesagt,
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