Insel der Träumer
blieben mit den Kindern im Dorf zurück. Sadagar steckte das Messer zu den anderen elf in den Gurt zurück und rannte. Er musste Mythor stellen. Um die beiden anderen konnten sich die Männer kümmern. Aber er, Mythors Freund und Weggefährte, musste ihn von dem befreien, was von seinem Geist Besitz ergriffen hatte. Das war er ihm schuldig.
Die Büsche teilten sich vor ihm. Tiefhängende Äste ruckten hoch und machten den Weg frei. Tiere liefen zur Seite und verschwanden im Unterholz, und der Duft der Blüten machte nicht mehr schläfrig, sondern weckte neue Kräfte. Die Macht der Götter war ohne Grenzen. Pflanzen und Tiere nahmen mit den Menschen den Kampf gegen das Böse auf. Sadagar fühlte sich als ein winziges Teil eines wunderbaren Ganzen. Und auch Mythor sollte wieder zu dieser Einheit gehören.
Dass er ihn dazu töten musste, berührte den Steinmann nicht. Nur manchmal, wenn sich etwas verdunkelnd vor seinen Geist zu schieben drohte, hatte er das Gefühl, etwas Schreckliches tun zu wollen. Doch schnell wischte die Macht der Götter diese Zweifel wieder beiseite und gab ihm neue Kraft, dem Bösen zu widerstehen, das nach ihm greifen wollte.
Mythor, Golad und das Mädchen blieben verschwunden, als habe der blühende Boden sie verschluckt. Sadagar hatte inzwischen zu den ersten Verfolgern aufgeschlossen, unter denen sich auch Chrandor befand, und trieb sie vorwärts. Er wusste, wo sie zu suchen hatten. Sie mussten nach Süden, bis zum Ende der Insel.
Sadagars Blick fiel zufällig auf Chrandors Handschuhe. Die Finger hingen schlaff herab.
»Aß und Baß!« rief der ehemalige Pirat klagend, als er den Blick des Steinmanns bemerkte. »Sie sind fort!«
»Ist das jetzt wichtig?« fuhr Sadagar ihn an. »Es geht darum, Mythor zu retten und das Böse zu bannen! Was scheren dich da deine Hände?«
»Was weißt du denn! Außerdem ist es ein böses Zeichen, dass sie…«
Sadagar hörte nicht mehr, was der Pirat rief. Er hatte nur noch Augen und Ohren für die Jagd.
*
Mythor und Golad trugen Farina abwechselnd. Sie sahen sich nicht um, doch das lauter werdende Geschrei verriet ihnen, dass ihr gewonnener Vorsprung langsam, aber sicher schrumpfte. Dornenranken peitschten nach ihnen, Käfer bildeten lebende Mauern quer über die Pfade, und selbst das halbverhungerte Wild setzte ihnen nach. »Lasst mich herunter!« rief Farina. »Ich kann laufen!«
»Zu langsam«, rief Mythor zwischen zwei Atemzügen. Natürlich war das Mädchen jetzt eine schwere Last. Ohne sie hätten Mythor und Golad wohl Aussichten gehabt, die Südküste vor den Verfolgern zu erreichen. So aber würden sie mit Glück gerade bis zur Mitte der Insel kommen. Das Getier und die Pflanzen stellten nicht die Gefahr dar, wie Mythor sie befürchtet hatte. Für sie galt das gleiche wie für die Männer: Dadurch, dass ihre Bewegungen durch einen fremden Willen gesteuert wurden, waren sie langsamer, unbeholfener als sonst. Nur diesem Umstand hatten die drei Gehetzten es zu verdanken, dass sie überhaupt noch frei waren. Die Käfer mit ihren tödlichen Scheren und Giftstacheln rückten langsam an, ihre Bewegungen ließen sich voraussehen. Aber es kostete viel zu viel Zeit, einen Bogen um sie zu machen.
Ein leichter Wind hob an und riss den über dem Boden liegenden Dunst an Stellen auf. Mythor fragte sich, ob auch die Verfolger diesen Dunst sahen – oder was der Krake ihnen an dessen Stelle vorgaukelte.
Verzweifelt suchte er sich an seine Ausflüge zu erinnern, während er neben Golad, auf dessen Schulter Farina nun wieder ruhte, über Wurzeln sprang und Haken schlug, wenn plötzlich Kleingetier aus Erdlöchern kam. Sein Atem ging schwer, das Herz klopfte bis zum Hals. Und immer lauter wurde das Gebrüll der Besessenen.
Wo gab es Verstecke, eine Mulde vielleicht, in der sie die Verfolger vorbeiziehen lassen konnten? In einen der Bäume zu klettern hatte wenig Sinn, wollten sie nicht von Ästen aufgespießt werden, die sich plötzlich gegen sie wendeten. Außerdem reichte die Zeit dazu nicht mehr. Sie mussten schnell etwas finden, was sie den Blicken der Jäger entzog, sehr schnell.
Die Schreie kamen nun von allen Seiten. Nur der Weg nach Süden war noch frei.
»Sie wollen uns einkreisen!« rief Golad.
Plötzlich sah Mythor drei Bäume, die ein gleichseitiges Dreieck bildeten, und obwohl er auf seinen Ausflügen die Insel nur als Paradies gesehen hatte, erinnerte er sich.
»Hierher!« rief er außer Atem, sprang über einen Pfad und schob sich durch
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