Insel der Träumer
fort«, sagte Golad leise. »Alle fort.«
Mythor hörte etwas rascheln. Sein Kopf fuhr herum, und kurz sah er etwas hinter einem der Dornenbüsche aufblitzen.
»Sie sind nicht fort«, presste er hervor. »Sie haben auf uns gewartet. Sie sind hier, überall.«
Und als hätte er das Zeichen dazu gegeben, wuchsen plötzlich überall um sie herum Leiber aus dem Dunst, schoben sich Männer heran, deren Blicke keinen Zweifel an ihren Absichten ließen.
Dort, wo es kurz aufgeblitzt hatte, trat Steinmann Sadagar aus den Büschen heraus, eines seiner Messer in der Faust. »Die Flucht ist zu Ende, Mythor«, sagte der Steinmann.
Mythors Gedanken waren in Aufruhr. Zwar ahnte er sofort, was dieser Aufmarsch zu bedeuten hatte, doch wie viele Männer verbargen sich noch in den Büschen? Gab es eine schwache Stelle in dem Kreis, der sich immer enger um sie zog?
Es mochten drei, vier Dutzend sein, die sich mit abgebrochenen Ästen und Steinen bewaffnet hatten. Wo waren die anderen?
»Ruhig«, flüsterte Mythor und legte Golad eine Hand auf den Arm, als er aus dem Augenwinkel heraus sah, wie es im Gesicht des jungen Hünen zuckte. Farina sank auf den Boden und weinte hemmungslos. »Warte ab!«
Nur widerwillig gehorchte Golad. Mythor machte einen Schritt auf Sadagar zu.
»Bleib, wo du bist, Mythor!« warnte der Steinmann und hob die Hand mit dem Messer.
»Bei Quyl! Willst du uns nicht sagen, was in euch gefahren ist? Von welcher Flucht redest du denn? Wir waren auf dem Weg zu euch, um…«
»Um uns zu versklaven, wie ihr versklavt worden seid! Oh, wir wissen Bescheid, Mythor, und glaube mir, was wir tun, ist nur zu eurem Besten.«
»Aber das ist Unsinn! Wir sind nicht versklavt!«
»So?« Sadagar lachte bitter. »Und was hindert euch dann daran, auf die Traumreise zu gehen? Wir wissen, dass der Ruf an euch erging. Ich hätte erkennen müssen, wie es um dich steht, als du in der Hütte lagst und freveltest! Du bist besessen, Mythor! Und die dunkle Macht, die sich in deine Seele geschlichen hat, hat bereits zwei neue Opfer gefunden. Sie will euch die Erfüllung verwehren, die am Ende der Traumreise auf euch wartet, und sie treibt euch voran, um auch uns zu blenden!«
Mythor schüttelte verzweifelt den Kopf und ballte die Hände. Rachamons Worte waren wieder in seinem Ohr: Jeder wird gegen dich sein!
Er hätte wissen müssen, dass der Krake zu solch einem Mittel greifen würde, nachdem er sie selbst nicht mehr in seine Gewalt bringen konnte. Sie bedeuteten eine Gefahr für ihn und mussten außer Gefecht gesetzt werden. Dazu hatte das Ungeheuer die Schiffbrüchigen auf den Plan gerufen, die ihm noch hörig waren. In Sadagars Augen lag keine Wärme mehr. Nichts an den Männern erinnerte noch an die friedlich in den Tag hineinlebenden Inselbewohner. Mythor sah sich um und begegnete den kalten Blicken derer, mit denen er zusammen die Ruderbank geteilt hatte. Yellen, der Weißhaarige aus Tainnia – mit ihm hatte er gegen die Mannschaft gekämpft, die Farina über Bord werfen wollte. Nun hielt der Alte einen Knüppel schlagbereit in der Hand.
»Spar dir deine Worte, Mythor!« sagte der Steinmann kühl. »Um unserer Freundschaft willen muss ich dich vom Bösen befreien. Du wirst auf die Traumreise gehen.«
»Nein!« schrie Farina schrill. »Nicht wieder dorthin!«
Golads Fäuste bebten. Mythor erkannte, dass er ihn nicht länger zurückhalten konnte. Sie mussten fliehen, solange sie es noch konnten. Oder sollten sie zum Schein auf die Forderung der Männer eingehen, bis sich eine bessere Möglichkeit ergab?
Sadagars Worte ernüchterten ihn. »Wir alle werden euch begleiten, Mythor. Versucht nicht zu fliehen. Wir müssten euch töten.«
Er würde es tatsächlich tun! Er würde ihm das Messer in den Leib stoßen, ohne mit der Wimper zu zucken!
»Dann… geht ihr mit uns auf die Traumreise… bis zum Ende?« fragte Mythor schnell und warf Golad einen strengen Blick zu. Falls Sadagar und wenigstens einige der anderen dazu zu bewegen waren, mit ihnen in die Grotte hinabzusteigen…
»Das dürfen wir nicht«, nahm der Steinmann ihm auch diese letzte Hoffnung. »Wir werden euch von den Klippen in die Bucht stoßen. Doch fürchtet den Tod nicht. Die Götter, die uns dieses Eiland schenkten, werden euch beschützen und sicher auf die Reise geleiten.«
Das war nicht Sadagar, der da sprach. Noch nie hatte Mythor den Freund so hochtrabend reden hören. Der Krake sprach aus ihm. Doch es war der Steinmann, gegen den er auf Leben und
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