Insel der Traumpfade Roman
die sich daraufhin rasch erhoben und in der Dunkelheit verschwanden.
Nell machte sich auf den Weg zu den Sträflingsbaracken und trieb ihr Pferd zum Galopp an. »Sie können überall sein«, rief sieden verschlafenen Männern zu. »Geht raus und sucht sie. Gebt einen Schuss ab, wenn ihr einen von beiden gefunden habt – sie sind vielleicht nicht zusammen.«
Ohne auf eine Antwort zu warten, ritt sie zurück an die Weide und nutzte das Licht der Blitze, um die Landschaft abzusuchen. »Wo bist du, Walter?«, schluchzte sie.
Alice setzte bewusst einen Fuß vor den anderen und trottete weiter über den harten Boden. Über ihr wütete das Gewitter, das Gras strich wispernd an ihren Beinen entlang. Es waren keine Sterne zu sehen, die sie hätten führen können. Nur ihr angeborener Orientierungssinn, der sie noch nie im Stich gelassen hatte, wies ihr den Weg über dieses Weideland, das ihr vertraut war, weil sie es so oft abgeschritten hatte. Sie war erschöpft, an ihren Fersen hatten sich Blasen gebildet, denn die alten Stiefel hatten zu reiben angefangen – doch sie ging nicht langsamer: Mit jedem Schritt kam sie ihrem Zuhause näher.
Sie spähte ins Dunkel und wurde kurz von einem Blitz geblendet, der in die Erde einschlug. Ein heißer Wind fuhr in den Staub unter ihren Füßen. Sie trottete weiter, den Blick fest auf den Horizont gerichtet, an dem die Häuser und Scheunen von Moonrakers noch immer nicht zu sehen waren. Noch eine Erhebung, dann würde sie die Farm sehen – nur noch ein paar Meilen, und sie wäre da.
Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie schon gegangen war, als sie ein Geräusch hinter sich vernahm. Sie spürte, wie sich ihre Nackenhaare sträubten, denn sie hatte das weiche Aufsetzen der Pfoten und den keuchenden Atem erkannt. Ein kurzer Blick über die Schulter bestätigte ihre schlimmste Befürchtung: Ein Dingo verfolgte sie. Er passte sich ihrer Geschwindigkeit an. Sein Blick war starr und bestialisch, seine Absicht nur allzu deutlich.
Nell hatte das Feuer am fernen Horizont gesehen und wusste, dass die Zeit knapp wurde. Walter und Bindi waren ernsthaft in Gefahr. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie ließ das Pferd langsamer gehen und zwang sich, Ruhe zu bewahren, während sie nach einem Zeichen suchte, dass Walter in Sicherheit und die Männer auf dem Heimweg waren.
Dann vernahm sie ein vertrautes Geräusch. Sie zügelte das Pferd und stellte sich in die Steigbügel.
Walters Pony stürmte aus der Dunkelheit, die Steigbügel flogen, der Sattel hing an der Seite. Mit wildem Blick lief es an Nell vorbei und setzte seinen irrsinnigen Lauf nach Hause fort.
»Walter!«, schrie Nell. »Wo bist du?«
»Mama!«
Das schwache, klägliche Jammern durchbohrte Nells Herz. Sie trieb ihr Pferd zum Galopp an. »Ich komme«, rief sie. »Ruf weiter, Walter, damit ich deiner Stimme folgen kann.«
»Ich bin hier drüben«, war die piepsende Stimme in einer Pause zwischen zwei Donnerschlägen zu hören. »Komm mich holen!«
Nell konnte ihn jetzt sehen, eine winzige Gestalt als Silhouette vor dem roten Feuerschein am Horizont. Sobald ihr Pferd zum Stehen kam, sprang sie vom Sattel und versetzte ihrem Sohn eine schallende Ohrfeige, bevor sie ihn stürmisch umarmte. »Mach das nie wieder!«, schimpfte sie unter Tränen. »Du hättest umkommen können, und ich hab fast den Verstand verloren vor Sorge.«
»Ich hab versucht, Papa zu finden«, schluchzte der Junge, »aber Flash hat sich erschrocken und mich abgeworfen, und ich wusste nicht, wie ich nach Hause kommen sollte.«
Nell hielt ihn auf Armeslänge von sich. Eine Woge der Liebe und Zärtlichkeit überkam sie … Dann aber fiel ihr wieder ein, dass noch ein zweiter Junge hier draußen herumirrte. »Wo ist Bindi?«, fragte sie.
»Weiß ich nicht.« Walter schluckte. »Ich habe ihn seit heute Morgen nicht gesehen.«
Nell war übel vor Angst, und sie ließ den suchenden Blick über die Landschaft gleiten. Bindi mochte zwar das angeborene Wissen seines Volkes haben, aber er war erst sieben Jahre alt. »Hat er dir gesagt, wohin er gehen wollte?«, fragte sie.
Walter schüttelte den Kopf. »Er hat nur gesagt, dass er Fische fangen wollte.« Er schaute zu seiner Mutter auf. »Es ist ihm doch nichts passiert, oder, Mama?«
Nell drückte ihn fest an sich. »Er ist wahrscheinlich schon wieder im Lager und lässt sich seinen Fang schmecken.«
Der Junge wischte sich die Nase am Ärmel ab und schaute auf das Feuer am Horizont. »Papa, Onkel Jack und Bindi sind
Weitere Kostenlose Bücher