Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Insel der Traumpfade Roman

Insel der Traumpfade Roman

Titel: Insel der Traumpfade Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamara McKinley Marion Balkenhol
Vom Netzwerk:
Augen sehen«, murmelte sie. »Ich muss es wissen.«
    »Es ist kein schöner Anblick«, sagte der Sträfling, und seine sonst barsche Stimme klang sanft. Er nahm das Ölzeug von den Satteltaschen. »Ich habe nach dem Wagen geschickt. Wir kümmern uns um sie.« Er machte sich wieder auf den Weg zurück durch den klebrigen schwarzen Schlamm.
    Hand in Hand folgten Alice und Nell ihm.
    Die Gestalt war wie eine groteske Parodie eines Mannes. Bis zur Unkenntlichkeit verkohlt hing das ledrige Fleisch lose herab und enthüllte schimmernde Knochen. Er war wie ein gespannter Bogen himmelwärts gebogen, die Hände flehentlich erhoben, den Kopf zurückgeworfen, den Mund weit aufgerissen zu einem stillen, endlosen Schrei. Ein Stück weiter weg lag ein Pferd.
    »Wer ist es?«, fragte Alice kaum hörbar.
    »Jack«, antwortete der Sträfling.
    »Wie kannst du dir so sicher sein?«, flüsterte sie.
    »Tut mir leid, Missus. Das hier haben wir neben ihm gefunden.«
    Alice schaute auf die Taschenuhr, die sie Jack zu Weihnachten geschenkt hatte. Sie hatte Beulen und war angesengt, das Zifferblatt war von der Hitze gesprungen. Ihre Hand schloss sich darum, während sie auf die verkohlte Gestalt schaute. Sie konnte nicht glauben, dass das einmal der Mann gewesen war, den sie liebte – konnte das entsetzliche Geschehen nicht begreifen.
    »Ich habe euch gewarnt«, sagte der Sträfling. »Tut mir leid, Missus«, wandte er sich an Nell. »Billy liegt da drüben.«
    »Nein!« Es war ein Schrei aus den Tiefen ihrer Seele, und Nell wäre zu Boden gestürzt, wenn er sie nicht festgehalten hätte. »Nicht mein Billy – bitte nicht mein Bill!«
    Alice trat zu ihr und drückte sie an sich, das Gesicht weiß vor Qual. »Wir müssen füreinander stark sein. Sonst sind wir beide verloren.«
    Billy war ein paar Meter von Jack entfernt gestorben, seine armseligen Überreste waren mit dem schweren Ast eines zerstörten Baums verschmolzen, der ihn in den Boden gerammt hatte. Beide Männer waren nur wenige Meter vom Wasserloch entfernt gewesen, das ihre Rettung hätte sein können.
    »Und Bindi?«, flüsterte Alice.
    »Er war im Wasserloch, Missus«, berichtete der Sträfling. »Er war ein bisschen versengt und verängstigt, aber er hat uns erzählt, Billy habe ihn hineingeworfen, kurz bevor der Baum umstürzte. Sein Vater hat ihn ins Lager zurückgebracht.«
    Jack und Billy wurden in das Ölzeug gewickelt und auf dem Karren zurück nach Moonrakers transportiert. Schweigend ritten Alice und Nell nebenher. Sie beherrschten sich, solange die Sträflinge hinter ihnen ritten und die Eingeborenen neben ihnen hertrotteten. Beide Frauen wussten, dass die Tränen früh genug kommen würden, der Verlust würde sich wie ein großes Gewicht auf sie legen, und die Leere der weiten Wildnis würde näher heranrücken. Sie wussten auch, dass sie ihren Kummer teilen, alle anderen Sorgen beiseiteschieben und sich aneinander festhalten mussten: Es war ihre einzige Chance, diese schreckliche Prüfung zu überstehen.
    Die Beisetzung sollte am nächsten Morgen stattfinden. Die ganze Nacht über trafen Trauernde ein, denn Nachrichten verbreiteten sich schnell. George war auf See, doch Ernest fuhr mit halsbrecherischer Geschwindigkeit mit seiner Frau und seinen Eltern durch die Nacht, und sie kamen kurz nach Tagesanbruch an.
    Obwohl Susan ganz offensichtlich mit ihrem eigenen Kummer zu kämpfen hatte, setzte sie sich zu Nell und Alice, um ihre Erinnerung an ihren Bruder und den Mann mit ihnen zu teilen, der sein engster Freund geworden war. Ezra suchte Trost in seiner Bibel.
    Die Sonne ging auf, und die Frauen bereiteten sich auf den längsten Tag ihres Lebens vor. Auf dem kleinen Friedhof drängten sich Menschen. Sie waren gekommen, um zwei Männern die letzte Ehre zu erweisen, die schwer gekämpft hatten, sich und ihren Familien ein neues Leben aufzubauen. Sie kamen zu Fuß oder zu Pferde und mit der Kutsche und brachten zusammengerolltes Bettzeug, etwas zu essen und tröstende Worte mit.
    Die Eingeborenen von Moonrakers standen neben den Sträflingen, als Ezras Stimme sich in der Stille eines klaren, sonnigen Tages erhob. Ihre Gesichter hatten sie zum Zeichen ihrer Trauer mit Ton eingerieben, und sobald der weiße Mann die Zeremonie beendet hatte, würden sie ihre eigene abhalten. Sie würden den Großen Schöpfergeist anrufen und bitten, das Kanu zu schicken, damit Boss Billy und Boss Jack zu den Sternen gebracht würden. Die beiden weißen Männer hatten ihr Leben für das

Weitere Kostenlose Bücher