Insel der Traumpfade Roman
sagte sie. »Aber jetzt sind wir hier, und das ist ihr Vermächtnis. Gibt es eine bessere Art, an sie zu denken?«
Nell unterdrückte ihre Tränen. »Ach, Alice, du Liebe. Wie hätte ich es nur ohne dich geschafft?« Sie schlang beide Arme um ihre Freundin.
Alice blinzelte. »Wir hatten einander. Wir haben es gemeinsam geschafft.«
Sie lösten sich voneinander. »Du hast mir eine Menge beigebracht«, sagte Nell. »Wer hätte gedacht, dass ich lerne zu scheren, die Tiere einzutauchen und alles andere, was mit Schafen zu tun hat?«
»Du warst nicht gerade eine einfache Schülerin.« Alice lachte. »Weißt du noch, wie du über alles diskutieren wolltest? Und wie du beinahe in Ohnmacht gefallen bist, als du zum ersten Mal die Lämmer kastrieren musstest?«
Nell verzog das Gesicht. »Ich war schrecklich.« Sie kicherte. »Ich musste sogar meine hübschen Kleider gegen Männerhosen austauschen.«
»Immerhin sind sie bequemer.«
»Aber sie sehen nicht gut aus.«
»Das kümmert kein Schaf.«
»Verdammte Schafe«, murmelte Nell. »Was wissen die schon?«
Alice umschlang ihre Knie. Sie diskutierte mit Nell noch immer über alles, aber sie ereiferten sich nicht mehr so sehr; im Lauf der Jahre hatten sie über das Vieh, die Vorräte, die zu erledigenden Arbeiten gesprochen und festgestellt, dass ihnen die Entschlossenheit gemeinsam war, die Farm in Gang zu halten, so schwer es auch sein mochte.
Die Sträflinge waren ein Segen. Bestimmte Aufgaben bedurften der Kraft eines Mannes – und obwohl man ihren Rumkonsum sorgfältig überwachen musste, hatten sie sich um Alice und Nell geschart und ihre Loyalität bewiesen. Zwei hatten sich sogar auf zugeteiltem Land in der Nähe niedergelassen, nachdem sie frei waren, und in den arbeitsreichen Zeiten, wenn Lämmer zur Welt kamen und die Schur anstand, teilten sie sich das Pensum.
Nells Freundschaft war Alice eine Stütze gewesen. Allein zu trauern bedeutete, im Schmerz aufzugehen, doch zu wissen, dass andere auf sie zählten, hatte geholfen. Die schlichte, bedingungslose Liebe der Kinder war Balsam für ihre Seele gewesen.
»Was ist so lustig?«
»Ich dachte gerade an Amy und Niall«, sagte Alice. »Sie streiten andauernd, aber ich vermute, der junge Mann hat Absichten für die Zukunft.«
»Amy ist erst vierzehn«, erwiderte Nell hitzig. »Er lässt besser seine Finger von ihr.«
Alice lachte. »Mit dir als zukünftiger Schwiegermutter würde er nicht wagen, auf dumme Gedanken zu kommen.« Sie stand auf, klopfte sich das Gras von der Hose und zog die Kordeln an Fußgelenken und Knien fest. Sie hielten Spinnen und anderes Kriechgetier davon ab, die Beine hinaufzukrabbeln, lösten sich aber ständig und scheuerten über ihre Haut. Sie zog sich den Hut tief in die Stirn, stieg wieder in den Sattel und wartete auf Nell. »Komm, wir reiten nach Hause, kochen und sehen nach den Kindern.«
Drei Wochen später hatte Nell gerade die Hühner und Schweine gefüttert und fegte den Hof vor dem Stall aus. Obwohl die Sonne bereits unterging, gab es noch genügend zu tun, und da sie die Einsamkeit ihres leeren Bettes fürchtete, würde sie so lange weitermachen, bis sie sich kaum noch rühren konnte.
Nachdem der Hof gefegt war, nahm sie die Wäsche von der Leine, hob sich den Korb auf die Hüfte und machte sich durch dashohe Gras auf den Weg zum Haus. In den ersten Trauermonaten hatte es für sie seine Atmosphäre der Beständigkeit, Sicherheit und Wärme verloren und war zu einem mit Erinnerungen und Kummer angefüllten Gefängnis geworden. Mit der Zeit waren Alice und sie sich jedoch nähergekommen, und das Gefühl hatte sich wieder eingestellt. Heute war es eine Zufluchtsstätte wie früher.
Sie ging hinein und stellte den Korb auf den Tisch. »Was kochst du?«, fragte sie Amy.
»Gebratenes Hammelfleisch mit Gemüse aus dem Garten«, antwortete diese und wendete das Fleisch. »Wir haben genug, um eine Armee durchzufüttern, darf Niall also zum Abendessen kommen?«
Nell tauschte ein Lächeln mit Sarah aus, die Kartoffeln schälte. »Überlass das Kochen lieber deiner Schwester und frag ihn selbst«, antwortete sie und begann die Wäsche zu falten.
»Ich habe Walter mit einer Nachricht zu ihm geschickt«, sagte Amy, die ihre roten Wangen nicht nur der Hitze aus dem Ofen zu verdanken hatte. »Er hatte nichts zu tun und stand mir im Weg.«
Nell schwieg, das Lächeln lag noch sanft auf ihren Lippen. Niall kam inzwischen regelmäßig zu Besuch. Schlagartig wurde ihr klar, dass
Weitere Kostenlose Bücher