Insel der Traumpfade Roman
nicht in Ordnung ist.«
»Weg mit dir!« Nell krümmte sich vor Schmerz, das Gesicht hochrot.
Alice packte ihre Knie. »Hör auf zu pressen«, sagte sie, »du machst es nur schlimmer!«
Nell keuchte und stöhnte, während Alice sie untersuchte. »Es hat Steißlage«, stellte sie fest. »Ich muss es rumdrehen.«
»Was weißt du denn schon von Geburten?«, schrie Nell. »Fass mich bloß nicht an, sonst kratz ich dir die Augen aus!«
Alice trat zu der Wasserschüssel, die sie auf dem Nachttisch entdeckt hatte, und seifte sich Arme und Hände ein. »Ich habe mehr Schafe zur Welt gebracht, als du zählen kannst«, fauchte sie. »Also hör auf zu pressen und lass mich machen.«
Nell fiel auf die Kissen zurück. »Mir bleibt wohl nichts anderes übrig.«
»Es tut weh«, warnte Alice. »Nimm das und beiß drauf!«
»Hoffentlich weißt du, was du da tust«, knurrte Nell und nahm den Gürtel zwischen die Zähne.
Alice griff zum Messer.
Nell schrie auf, und der Gürtel fiel ihr aus dem Mund. »Du wirst mich doch damit nicht schneiden!« Sie holte aus und versetzte Alice eine schallende Ohrfeige.
Alice schlug zurück und hielt ihr das Messer an die Kehle. »Wenn ich dich nicht schneide, stirbt das Kind, und du auch!«
Nell steckte den Gürtel wieder zwischen die Zähne und kniff die Augen fest zu. »Dann leg los«, nuschelte sie.
Schwitzend schickte Alice ein Stoßgebet zum Allmächtigen empor und bat um Beistand. Sie war sich der Gefahr für Mutter und Kind durchaus bewusst, doch die Wehen waren so weit vorangeschritten, dass sie keine andere Wahl hatte: Sie musste den Geburtskanal erweitern, damit sie das Kind in eine bessere Lage schieben konnte.
Nell schrie, als Alice das Hinterteil des Kindes zur Seite schob und seine Beine packte. Sie schrie erneut auf, als die Schultern auftauchten.
»Nicht bewegen!«, fuhr Alice sie an. »Die Nabelschnur liegt um seinen Hals.«
Nell erstarrte, vergessen war der Schmerz. »Ich bete zu Gott, dass du weißt, was du tust«, stöhnte sie.
Vorsichtig steckte Alice einen Finger unter die Nabelschnur,trennte sie mit dem Messer durch und knotete beide Enden fest. Dann zog sie das Kind ganz heraus – und ihr blieb fast das Herz stehen.
»Ist alles in Ordnung? Warum schreit es nicht?«, kreischte Nell.
Die Haut des Kindes war vom Tode gezeichnet. Alice schlug ihm auf das winzige Hinterteil und hoffte, es damit ins Leben zu rufen.
Es regte sich nicht.
»Es ist tot, nicht wahr?« Nell schluchzte.
Alice war zu beschäftigt, um zu antworten. Sie versuchte es mit Mund-zu-Mund-Beatmung und massierte sanft die kleine Brust. Verzweifelt wartete sie auf ein Lebenszeichen.
Das Kind bewegte sich noch immer nicht.
Mit einem tiefen Seufzer lief sie mit ihm in die Küche. »Kaltes Wasser«, rief sie den verblüfften Männern und Kindern zu, die dort versammelt waren.
Sie lief zu dem Eimer, den sie ihr zeigten, und tauchte den Säugling hinein. »Und jetzt holt mir heißes Wasser!«, befahl sie. »Komm schon, Kleiner, atme! Um der Liebe Gottes willen, bitte atme!«
Sie tunkte ihn ins heiße Wasser, dann wieder ins kalte. »Bitte, bitte, Gott, lass ihn nicht tot sein!«, schluchzte sie, während sie das Eintauchen mehrmals wiederholte und versuchte, Leben in den kleinen Mund zu hauchen.
»Er ist tot, Alice. Wir können nichts mehr machen.«
Alice schaute in Billys tränenüberströmtes Gesicht auf und wandte sich dann wieder ihrer verzweifelten Aufgabe zu. »Doch«, jammerte sie unter Schluchzen. »Er darf nicht tot sein. Das lasse ich nicht zu.«
Nell, die mühsam aufgestanden und ihr in die Küche gefolgt war, gebot ihr Einhalt. Sie griff nach ihrem Kind und wiegte es in den Armen. »Lass ihn nur«, sagte sie, und Tränen liefen ihr über die Wangen. »Du hast alles getan, was du konntest. Es war ihm nicht bestimmt zu leben.«
»Es tut mir alles so leid«, schluchzte Alice, schlug die Hände vor das Gesicht und brach auf dem Boden zusammen. »Und ich wünschte …« Doch Nell und Billy hatten bereits ihre Kinder mit ins Schlafzimmer genommen und die Tür fest hinter sich geschlossen.
»Sie weiß es, Alice«, flüsterte Jack. Er half ihr auf, legte den Arm um sie und führte sie zu einem Stuhl. »Ich bin so stolz auf dich. Nell wäre mit ihrem Kind gestorben, wenn du nicht gewesen wärst.«
Alice versuchte, ihre Tränen zu trocknen, doch sie ließen sich nicht aufhalten. »Sie muss genäht werden. Und ich war so gemein zu ihr, habe sie angeschrien und herumkommandiert …«
Jack
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