Insel der Traumpfade Roman
Schatten war es inzwischen kühl geworden, also nahm sie ihren Sonnenschirm und das Buch und ging von der Laube an eine geschütztere Stelle im Garten, die noch in der Sonne lag. Der junge Mann, den sie durch das Fenster des Schankraums gesehen hatte, würde ihr dort nicht nachspionieren können. Sie setzte sich auf eine Steinbank. Sein Erröten hatte sie zum Lächeln gebracht, und sie hatte den Eindruck gehabt, dass sie diese hübschen Gesichtszüge und das dunkle Haar schon einmal gesehen hatte.
Sie schlug ihr Buch wieder auf, doch die Buchstaben tanztenvor ihren Augen. Erneut versuchte sie sich zu konzentrieren, die Wörter aber blieben verschwommen. Wie konnte sie sich durch diesen jungen Mann so durcheinanderbringen lassen, obwohl sie doch verheiratet und Mutter war?
Mit einem Ruck klappte sie das Buch zu. Sie durfte auf keinen Fall Hirngespinste entwickeln. Der Streit zwischen Edward und ihrem Vater hatte an ihren Nerven gezehrt, das war alles, und ihre Phantasie war mit ihr durchgegangen. Sie hatte nur ein Gesicht an einem Fenster gesehen – ein anonymes Gesicht, das ihr nichts bedeutete.
Erneut schaute sie zum Arbeitszimmer hinauf und biss sich auf die Unterlippe. Es war Zeit, ins Haus zu gehen und festzustellen, was eigentlich passiert war. Sie stand auf und ging auf die Tür zu, die zur Wohnung der Familie hinaufführte.
Aus dem Halbdunkel der Treppe trat Edward auf sie zu und packte sie am Arm. »Da hinein«, befahl er. Er stieß sie in einen Lagerraum und schloss die Tür.
Eloise ließ sich von seiner rauen Behandlung nicht beeindrucken. Sie waren im Hotel ihres Vaters, und Edward würde es nicht wagen, ihr unter seinem Dach etwas anzutun. »Worüber du und Papa gestritten habt, geht mich nichts an, Edward«, sagte sie. »Mach die Tür auf und lass mich raus.«
»Erst wenn ich dazu bereit bin.« Er drückte sie an die Wand zwischen Mehl- und Kartoffelsäcke. »Wenn du dich noch einmal bei deinem Vater beklagst, erwartet dich eine Strafe. Kapiert?«
»Wenn du deine Hand gegen mich erhebst, schreie ich«, drohte sie ihm.
Edward ließ das anscheinend kalt. »Wenn ich höre, dass du mich ihm gegenüber schlecht gemacht hast, schlage ich dich grün und blau.« Seine Stimme war gedämpft. »Niemand wird deine Schreie hören.«
Eloise wusste, dass er es ernst meinte, und versuchte, ihr Zittern zu unterdrücken. »Ich rede nicht mit meinem Vater überdich«, brachte sie hervor. »Deine Anschuldigungen sind beleidigend und fehl am Platz. Im Übrigen«, fügte sie hinzu, überrascht, wie ruhig ihre Stimme klang, »werden meine blauen Flecken beredte Zeugen sein.«
»Deine blauen Flecken wird man nicht sehen«, erwiderte er, »es sei denn, du ziehst dich aus.«
»Ich wusste, dass du nur wenig für mich empfindest«, sagte sie leise, »aber mir war nicht klar, dass du mich so hasst.«
»Ich hasse dich nicht«, zischte er. »Wenn du dich so verhältst, wie meine Frau es tun sollte, brauchst du keine Angst zu haben, dass ich dich grob anfasse. Aber wenn du nicht spurst, bin ich unbarmherzig.«
Eloise hatte zu viel Angst, um zu sprechen.
Edward ließ sie los und strich die Rockschöße seiner Uniform glatt. »Jetzt kannst du nach oben gehen, ich kehre in die Kaserne zurück. Mein lieber Vater ist eingetroffen, und der Baron hat mir versichert, dass dir seine Gesellschaft gefällt. Du solltest ihn also nicht warten lassen.«
»George, verzeih, wenn ich zu spät komme.«
»Wo warst du?« George ergriff die Hand seines Freundes. »Aber mach dir nichts daraus, es spielt jetzt keine Rolle mehr. Komm, sie ist im Garten!«
»Warte, George. Ich muss dir etwas sagen.«
Er sah das Bedauern in den Augen seines Freundes, und plötzlich überkam ihn Angst. »Was denn, Tom?«
»Setz dich lieber!«
»Aber die junge Frau, von der ich dir erzählt habe, ist da draußen und kann jeden Augenblick verschwinden. Wir müssen uns beeilen.«
Thomas packte ihn am Arm und zog ihn zu einer Sitzgelegenheit. Er gab dem Mann an der Bar ein Zeichen und bestellte ihnen beiden ein deftiges Glas Rum. »Sie ist schon weg«, sagte er ruhig.
»Unsinn!«, platzte George heraus. »Ich habe sie gerade noch gesehen.«
Thomas schüttelte den Kopf. »Sie heißt Eloise Cadwallader.«
George sackte auf seinem Sessel zusammen, seine Hoffnungen wurden von einer Woge der Verzweiflung hinweggespült. »Wieso bist du dir da so sicher?«
»Du hast sie gut beschrieben, und ich wusste, wer es sein musste, als ich sie im Garten sah.«
»Du warst
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