Insel der Traumpfade Roman
aufzog. »Sie sind nicht für Damenohren bestimmt«, sagt er. »Das Leben auf einem Walfänger kann schauerlich sein.«
»Dann bewundere ich Ihre Aufrichtigkeit, Mr Collinson, und vielen Dank, dass sie so einfühlsam sind, uns nichts davon zu erzählen.« Sie lächelte, und er schmolz erneut dahin. »Noch mehr Tee?«
Er war gerade im Begriff anzunehmen, obwohl er schon genug getrunken hatte, um ein Schiff zum Sinken zu bringen, als sich eine fleischige Hand auf seine Schulter legte. »Da bist du ja, Junge. Hab dich schon überall gesucht.«
George stellte Samuel Varney vor, der deutlich etwas anderes als Tee im Sinn hatte. »Ich muss mit dir reden, mein Sohn. Es ist wichtig.«
George erhob sich, um sich zu verabschieden. »Wenn Sie mich bitte entschuldigen wollen, meine Damen«, sagte er. Er warf Eloise einen letzten sehnsüchtigen Blick zu und wandte sich ab. Dass er sie kennengelernt hatte, war zwar ein Triumph, doch ihm war auch klar geworden, dass er wohl niemals mit ihr allein sprechen konnte – und dass er sie nach dem heutigen Tag nie vergessen würde.
Eloise stellte eifrig die Teetassen zusammen, doch ihre Gedanken liefen Amok. Schade, dass man George weggerufen hatte – es gab sicher vieles, worüber sie sich unterhalten konnten, und sie hatte seine Gesellschaft genossen. Es gab jedoch zahlreiche gesellschaftliche Anlässe in Sydney Town, und sie würden sich zwangsläufig wieder begegnen. Sie rückte ihren Hut gerade und spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. Es war lächerlich, aber der Gedanke gefiel ihr.
Zufällig fiel ihr Blick auf ein schmales Buch, das im Gras unter dem Stuhl lag, von dem George sich gerade erhoben hatte. Es musste ihm aus der Tasche gefallen sein, und sie war neugierig, welche Art von Lektüre einen so liebenswerten Mann interessierte. Während Thomas ihre Schwestern mit einer unterhaltsamen Geschichte fesselte, stellte sie einen Fuß auf das Buch und zog es vorsichtig zu sich heran, bis es unter ihrem Rocksaum lag.
»Ich habe genug Tee getrunken«, sagte Anastasia kurz darauf.
»Ich auch. Wie wäre es mit einem Spaziergang durch die Gärten?« Thomas stand auf, und seine Verlobte hakte sich bei ihm unter.
»Wie ich hörte, soll der neue Gärtner Wunder an den Rosen bewirkt haben.« Irma schaute Eloise an. »Kommst du mit?«
Eloise machte es sich auf ihrem Stuhl bequem. »Ich bleibe noch eine Weile im Schatten sitzen«, sagte sie. »Geht ruhig.«
Eloise wartete, bis die anderen außer Sichtweite waren, und bückte sich dann, um das Buch aufzuheben. Sie schlug die erste Seite auf und las: »Für George zu seinem zehnten Geburtstag von Mutter und Vater.«
Sie lächelte im Stillen, denn sie sah Mr Collinson förmlich als Jungen vor sich und vermutete, das Geschenk war eine Enttäuschung für ihn gewesen. Über einen Reifen oder einen Ball hätte er sich bestimmt viel mehr gefreut. Warum also hatte er das Buch jetzt bei sich gehabt?
Es war Shakespeares Othello , stellte Eloise erfreut fest. Die Handlung war spannend, also war es wohl doch nicht weiter überraschend, dass Mr Collinson ausgerechnet dieses Buch bei sich trug. Sie blätterte den zerlesenen Band mit dem Goldschnitt durch. Dabei fielen ihr Eselsohren auf und eine Blüte, die zwischen zwei Seiten gepresst war. Es war eine Kamelie, und Eloise fragte sich, warum sie dort lag. Vielleicht die Erinnerung an ein Stelldichein oder ein Mädchen, dem er einmal begegnet war? Dann fiel ihr die Kamelienblüte ein, die ihr beim Tanz durch den Garten aus dem Haar gefallen war.
Sie schaute über den Rasen zu den beiden Männern hinüber, die in eine Unterhaltung vertieft waren. War George Collinson an jenem Abend beim Ball des Gouverneurs gewesen? Hatte er sie im Dunkeln tanzen sehen und die Kamelie gefunden? Oder ging die Phantasie mit ihr durch? Eloises Diamantring glitzerte, als sie das abgenutzte Leder des Einbandes umklammerte. Zweifellos war George Collinson in sie verliebt: Man merkte es an seinem Blick und seiner Stimme – und sie fühlte sich zu ihm hingezogen.
Eloise steckte das Buch in ihre Handtasche. Sie war eine verheiratete Frau und sollte solche Gedanken nicht haben – dochihr Herz pochte heftig, und sie konnte nicht widerstehen, noch einen Blick auf den Mann auf der anderen Seite der Rasenfläche zu werfen.
»Ich muss zurück nach Nantucket«, sagte Samuel Varney. »Die Sowerbury-Brüder haben mir nun offenen Kampf angesagt und den Speicher und die Trankessel in Brand gesteckt. Sie sind schon seit
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