Insel der Traumpfade Roman
Kälte.«
»Was ist los?«
Er schüttelte den Kopf, dankbar, dass Willy nichts verstanden hatte, doch jetzt war keine Zeit für Erklärungen: Er hatte die beiden Fährtensucher gesehen, die auf sie zukamen.
»Das Lager ist am großen Fluss, Boss«, sagte der Ältere von beiden. »Viele Wiradjuric.«
»Und ein weißer Mann mit Missus«, sagte der andere. »Wohnen in komischen gunyahs . Das gibt Probleme, Boss.«
Edward gab ihnen ein Zeichen, sich zu entfernen, und wandte sich an Willy. »Das müssen die Missionare sein, von denen wir gehört haben. Ich dachte, sie wären weitergezogen.«
»Sollen wir den Überfall dann abblasen?«
»Nein«, fuhr Edward ihn an. »Mit ein paar Moralpredigern werden wir leicht fertig.« Er kaute auf der Unterlippe. »Heute Abend wird nicht geschossen, Willy, nur die Säbel werden gebraucht, aber wir fahren wie geplant fort.«
Florence versuchte, auf der klumpigen Matratze eine kühle Stelle zu finden. Ihr war warm unter dem dünnen Musselinvorhang, der über dem Bett hing, um sie vor Moskitos zu schützen. Das Kissen war von Schweiß durchnässt. Ihr war elend zumute, doch ihr körperliches Unbehagen war nichts im Vergleich zu dem Aufruhr in ihrem Kopf.
Ohne zu überlegen hatte sie gesagt, sie werde nach Sydney zurückgehen, und hatte damit unbewusst der Sehnsucht Ausdruck verliehen, die sie in den vergangenen fünf Jahren gequält hatte. Der Verlust ihrer Familie machte ihr zu schaffen – aber hatte sie den Mut, ihrem Vater gegenüberzutreten, zu erleben, wie er sie für ihren Anteil an Millicents Leiden und für ihre anschließende feige Abreise verachtete? Ihr Stolz, der seit damals die treibende Kraft für ihr Tun gewesen war, war auch jetzt noch ungebrochen – aber eine Ehe mit dem aufgedunsenen, ältlichen Cedric oder ein Leben allein in der Wildnis, auf Gedeih und Verderb den Eingeborenen ausgeliefert, war undenkbar. Ihr blieb wohl nichts anderes übrig, als ihren Stolz hinunterzuschlucken und eine Demütigung zu riskieren.
Florence zog an dem engen Kragen ihres Nachthemds. Der Stoff war dünn und abgetragen, doch er klebte wie eine zweite Haut an ihr und war bei dieser schrecklichen Feuchtigkeit immer noch zu dick. Sie rollte sich auf die Seite und starrte in die Dunkelheit, in den Ohren das Hämmern des Regens, das aber die nach wie vor quälenden Erinnerungen nicht auszuschalten vermochte.
Die Sträflingsfrau Millicent hatte sich damals aufgrund ihrer Verbindung mit Jonathan Cadwallader in die Familie eingeschlichen. Sie hatte gewagt zu glauben, Ezra und Susan hätten sie ausMitleid aufgenommen und sie wie eine Tochter geliebt, und dabei hatte sie Florence verdrängt. Florence hatte in ihrer Eifersucht nicht mehr ein noch aus gewusst, und als Millicent an jenem schicksalhaften Abend zu ihr kam, war sie ausgerastet. Mit Genugtuung hatte sie Millicent erzählt, dass Susan eine Affäre mit Jonathan gehabt hatte – und dass Susan sie nur wegen der eigenen Schuldgefühle aufgenommen habe.
Florence stöhnte. »Woher sollte ich denn wissen, dass das dumme Mädchen einfach weglaufen würde? Dass sie vergewaltigt wurde, war nicht meine Schuld.« Der bittere Nachgeschmack blieb, die Erinnerungen waren so deutlich, als wäre das alles erst gestern geschehen. Sie schlug auf das Kissen ein, drehte sich wieder auf den Rücken und starrte zur Decke.
Sie hatte die Notiz zerknüllt, die Millicent von Susan mitgebracht hatte, und als Millicent den Weg hinunterlief, hatte sie ihr in Hochstimmung nachgeschaut, wusste sie doch, dass sie für helle Aufregung gesorgt hatte, als sie preisgab, schon immer von der Liaison ihrer Mutter gewusst zu haben. Millicent war schockiert, und das geschah ihr recht, weil sie angenommen hatte, sie könnte Florence so einfach ihre Familie wegnehmen. Außerdem würde es eine heilsame Lektion für ihre Mutter sein, dass ihre Geheimnisse und Lügen ans Licht gekommen waren. Sie wünschte sich, sie könnte Mäuschen spielen, wenn Millicent bei ihrer Rückkehr Susan zur Rede stellen würde.
Doch ein leiser Zweifel hatte an ihr genagt, als sie die Tür hinter Millicent schloss. Würde ihre Enthüllung nur dazu dienen, sie noch weiter von ihrem Vater zu entfernen? Er hatte Mutter letzten Endes verziehen, hatte sie trotz ihrer Untreue wieder aufgenommen, und Florence hatte zugeben müssen, dass er danach glücklicher und ruhiger wirkte.
Florence schloss die Augen, als sie sich daran erinnerte, wie wütend ihr Vater an jenem letzten Tag gewesen war. Sie
Weitere Kostenlose Bücher