Insel der Traumpfade Roman
verwirrter Geist im Himmel Heilung finden
»Wie ich sehe, haben Sie unsere geheimnisvolle Fremde gefunden«, ertönte eine Stimme hinter ihr.
Sie blinzelte, geblendet durch einen Sonnenstrahl, der sich durch die Wolken gebohrt hatte. »Hallo, Mr Pritchard«, sagte sie zum Garnisonspfarrer. »Ich wusste gar nicht, dass Sie wieder aus Sydney Town zurück sind.«
»Nur ein kurzer Aufenthalt zum Jahreswechsel.« Er deutete auf die Gedenktafel. »Das war das Einzige, was ich ihr schenken konnte. Die einzige Möglichkeit, auf ihr tragisches Leben hinzuweisen, dessen Bitterkeit mein Herz noch immer bewegt.«
Nell schwieg.
»Sie machte mich neugierig, und wenn ein so junger und gequälter Mensch in deinen Armen stirbt, wird es wichtig herauszufinden, wer sie war.«
»Ist es Ihnen gelungen?«
Er nickte. »Nach langer Suche.« Er fuhr fort und berichtete ihr, wie er durch Zufall im Busch auf die junge Frau gestoßen war. »Sie hatte ein Kruzifix bei sich«, sagte er, »das eindeutig aus einer Kirche oder Kapelle stammte, und das war mein Ansatzpunkt.«
John Pritchard war ein Jahr zuvor nach Parramatta gekommen. In Nells Augen war er ein erstaunlicher Mann; anders als jeder andere Pfarrer zog er die Gesellschaft von Eingeborenen seinen Pflichten in der Garnison vor und verbrachte Tage, ja sogar Wochen draußen im Busch statt auf seiner Kanzel. Seine Arbeit unter den Aborigines in der Gegend sorgte für Unruhe unter den weißen Siedlern, aber ihm war das gleichgültig, und dafür bewunderte sie ihn.
»Sie sind der Spur nachgegangen?«, spornte sie ihn an.
»Ja. Ich habe meinen neuen Bekannten Mandarg überredet, mich nach Banks Town zu begleiten.« Er hielt kurz inne. »Er war äußerst zögerlich, doch sobald wir dort waren, musste er anscheinend all die Schuldgefühle los werden, die er mit sich herumgetragen hatte.«
»Das verstehe ich nicht.«
John Pritchard lächelte matt. »Manche Dinge sind auch kaumzu verstehen, aber ich kann nur hoffen, dass die armen Seelen, die in der Mission abgeschlachtet wurden, im Himmel Frieden gefunden haben. Für Mandarg war es auf jeden Fall ein Trost, dass er mir erzählen konnte, was vorgefallen war.«
Nell hörte sich seine Beschreibung des Massakers an. Der Pfarrer wählte seine Worte mit Bedacht, doch ihre Phantasie reichte aus, sich die schreckliche Szene vorzustellen, und als er verstummte, drehte sie sich noch einmal zur Gedenktafel um. »Sie war also dort«, murmelte sie. »Sie hat nur überlebt, weil sie wahnsinnig war.«
»Mandargs Glaube erlaubte ihm nicht, jemandem etwas anzutun, der von den Geistern berührt war. Er hat dem Corps danach nie wieder als Fährtenleser gedient – er nennt den Major einen › Teufel mit weißer Haut ‹ .«
Nell hatte von dem Corps gehört, und da sie von Millicents Vergewaltigung und der nachfolgenden Prozessposse wusste, kannte sie den Charakter des Mannes, der für diesen Überfall verantwortlich gewesen war. Sie und Billy hatten schon lange vermutet, dass die Säuberung des Landes mit dem Abschlachten der einheimischen Bevölkerung einherging. Es war einer der Gründe, warum sie der Aborigines-Familie auf Moonrakers eine Zufluchtstätte gaben. »Werden Sie es den Behörden melden?«
»Ich habe es versucht, aber die Armee ist eine geschlossene Gesellschaft. Sie schirmen ihresgleichen ab.«
»Aber sie haben den Missionar umgebracht und diese Frau im Busch sich selbst überlassen. Sie sollten bestraft werden.«
»Man kann nur beten, dass es so kommen wird, Nell.«
Nell glaubte nicht, dass Gebete viel nutzen würden. »Wissen Sie denn, wer diese Frau war?«
»Allerdings, denn meine Nachforschungen in Sydney haben mich zu ihrer Familie geführt«, sagte er zögernd. »Nell, was für ein glücklicher Zufall, dass wir uns heute treffen, hier, an dieser besonderen Grabstätte.«
Sie sah ihm an, dass er krampfhaft nach den richtigen Worten suchte, und obwohl sie ahnte, was er zu sagen hatte, musste sie sich ihre Vermutung bestätigen lassen. »Es ist Billys Nichte, Florence Collinson, nicht wahr?«
Er nickte bekümmert. »Ich habe sie natürlich nicht erkannt, weil ich erst an diese Gestade kam, als sie schon fortgelaufen war. Aber ich werde ihre Eltern in Kenntnis setzen müssen, und obwohl ich bereits das Vergnügen hatte, Ezra Collinson kennenzulernen, und seine Arbeit bewundere, ist es keine Aufgabe, die mir gefällt.«
Nell berührte mitfühlend seinen Arm. »Vielleicht ist es besser, es nicht zu tun«, sagte sie. »Ezra und
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