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Insel der Verlorenen Roman

Titel: Insel der Verlorenen Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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stäub’gen Tods. Heute bin ich nichts. Aber morgen, wenn denn zwei Hammerschläge auf hoher See eine so tiefe und unwiderrufliche Veränderung bewirken können, morgen wird der Mann, der ich heute bin, wieder nach vorn blicken. Teuerste Freunde, Blut von meinem Blut, mein Sohn, den ich über den Tod hinaus liebe, ich werde nie wieder nach Hause kommen. Ich wusste es in dem Augenblick, als die Eisen fielen. Auf irgendeine unergründliche Weise habt ihr mir Kraft gegeben, und diese Kraft muss ich in ein Land tragen, an dessen Existenz wir nicht im Traum gedacht haben, und dort etwas tun, ohne noch zu wissen, was. Nicht als König oder Gouverneur, nicht als Offizier, ja, nicht einmal als freier Mann. Und wenn ich eines Tages sterbe, werde ich wohl immer noch nicht wissen, was ich tun muss, doch ich werde es getan haben. Es ist ein Geheimnis, ein Geheimnis, das zu
groß ist, als dass ich es ergründen könnte. Doch wenn es mir gelingt, dann euretwegen.
    Ich habe meinen Frieden gefunden. Was gestern war, gehört für immer der Vergangenheit an, und während ich hier liege, in schwankender, tiefschwarzer Nacht, ist das Heute für mich ohne Bedeutung. Das Morgen bedeutet Hartbrot und Pökelfleisch. Doch das Morgen ist alles, was ich habe, und es ist genug.
    Am Morgen betrachtete er seine Gefährten und versuchte, jeden so zu sehen, wie er sich selbst gesehen hatte. Was empfanden sie? Was hielten sie von diesem unerhörten, großartigen Experiment? Hatte einer von ihnen begriffen, dass sie die Heimat wahrscheinlich nie wieder sehen würden? Hatten sie noch Träume? Noch Hoffnung? Und wenn ja, was erträumten, was erhofften sie sich? Er würde es nie erfahren, denn keiner von ihnen wusste es. Hätte er sie darauf angesprochen, sie hätten geantwortet, was Männer immer antworteten: Geld, Reichtum, Liebe, Frau und Kinder, ein langes, bequemes, sorgenfreies Leben. Gewiss, auch er träumte von diesen Dingen, doch das meinte er nicht. Es gehörte nicht zu dem blendenden Lichtstrahl, der ihn inmitten der Trümmer seines Lebens getroffen hatte.
    Er las Vertrauen und Zuneigung in den Blicken der anderen, und das war ein Anfang, aber eben nur ein Anfang. Irgendwie musste jedem von ihnen begreiflich gemacht werden, dass sie sich nicht auf Richard Morgan verlassen durften, dass sie ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen mussten. Der Anführer auf der Backbordseite konnte ihnen vielleicht ein Vater sein, niemals aber eine Mutter.
    Die Gefangenen erhielten wieder die Erlaubnis, an Deck zu gehen, solange sie nicht alle gleichzeitig erschienen und der Mannschaft nicht im Weg standen. John Power war überglücklich. Zusammen mit Willy Dring und Joe Robinson durfte er ab sofort als Matrose arbeiten. Allerdings waren keineswegs alle Sträflinge darauf erpicht, nach oben zu gehen, wie Richard mit Befremden feststellte. Bei den Seekranken mochte es noch verständlich sein - der
Golf von Biscaya hatte auch einige hingestreckt, die bislang verschont geblieben waren -, nicht aber bei den anderen, die, obwohl von ihren Eisen befreit, nur faul in ihren Kojen lagen oder am Tisch Karten spielten. Gewiss, die See war noch rau, doch die Alexander war nicht umsonst ein mächtiges Sklavenschiff. Es bedurfte schon größerer Brecher, um die Decks zu überspülen.
    Die Sträflinge waren gerade mit dem unvermeidlichen Hartbrot, Pökelfleisch und scheußlichen Wasser aus Portsmouth verköstigt worden, als Leutnant Johnstone das Oberdeck freigab. Sechs Seesoldaten kamen mit Eimern ins Gefängnis herunter und kippten Salzwasser in die Tonnen, und gleich darauf erschien der gestrenge Leutnant Shairp, stapfte steifbeinig durch die Gänge und befahl nachlässigen Kojenbelegschaften, das Deck und ihre Pritschen zu reinigen. Im Vertrauen darauf, dass es bei ihnen nichts zu beanstanden gab, hievten sich Richard und seine Freunde durch die Luke an Deck. Nur Ike und Joey Long blieben zurück.
    Sie traten an die Reling, um sich zum ersten Mal den Ozean anzusehen. Das Grau der See war mit einem stählernen Blau übergossen und trug noch viele Schaumkronen, doch sie konnten den Horizont sehen und somit auch die anderen Schiffe, einige an Backbord, andere an Steuerbord und zwei so weit achteraus, dass ihr Rumpf unter der Kimm stand und nur die Masten zu sehen waren. Ganz in der Nähe befand sich das andere große Sklavenschiff, die Scarborough , die mit ihren geblähten Segeln, ihren auswehenden Flaggen und ihrem stumpfen, die Wogen zerteilenden Bug einen prachtvollen

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