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Insel der Verlorenen Roman

Titel: Insel der Verlorenen Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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zuckten grelle Blitze nieder und färbten die schwarzen Wolken purpurn. Es begann wie aus Kübeln zu schütten, sodass der Regen trotz eines stürmischen Nordwestwinds senkrecht aufs Deck prasselte. Eine Stunde vor Mitternacht hörte der Spuk plötzlich auf, und aus Südwest blies eine kräftige Brise. Weiße Klippen zogen vorüber, Bäume, gelbe Klippen, Bäume, geschwungene goldene Strände, und schließlich kam die Einfahrt zur Botany Bay in Sicht.
    Am Morgen des 19. Januar 1788 segelte die Alexander gegen 9 Uhr mit ihren beiden Begleiterinnen zwischen Kap Solander und Kap Banks hindurch in eine große, nur mäßig geschützte Bucht. Etwa fünfzig nackte schwarze Männer standen winkend auf einer Landzunge, und dort, mitten in der kabbeligen stahlblauen See, lag die Supply . Sie hatte die anderen Schiffe um einen Tag geschlagen.
     
    Die Alexander hatte in 251 Tagen oder 36 Wochen über 16 000 Landmeilen zurückgelegt. Sie hatte 68 Tage im Hafen und 183 Tage auf See verbracht. Von den 225 Sträflingen hatten 177 das Ziel erreicht.

    Die Anker wurden ausgebracht und Leutnant Shortland setzte auf die Supply über, um mit Gouverneur Phillip zu sprechen. Richard stand allein an der Reling und betrachtete lange das Land, in das er gemäß einem Kabinettsbefehl deportiert worden war. Hier also sollte er die nächsten vier Jahre bis zum 23. März 1792 verbringen. Im Südatlantik zwischen Rio de Janeiro und Kapstadt war er neununddreißig Jahre alt geworden.
    Das Land, über das seine Augen glitten, war an der Küste flach, weiter im Süden und Norden leicht hügelig und bot mit seinen braunen, grauen und olivgrünen Tönen einen tristen Anblick. Desolat und reizlos.
    »Was sehen Sie, Richard?«, fragte Stephen Donovan.
    Richard sah ihn aus tränenverschleierten Augen an. »Weder die Hölle noch das Paradies. Es ist die Vorhölle, in der alle verlorenen Seelen landen.«

TEIL FÜNF
    Januar bis Oktober 1788

    D ie nächsten Tage verliefen fast ereignislos. Die einzige Überraschung war, dass die sieben langsamen Schiffe mit nur geringer Verspätung ebenfalls in der Botany Bay eintrafen. Von denselben Winden getrieben, waren sie ihnen in kurzem Abstand gefolgt. Die ankernden Schiffe schwoiten im unruhigen Wasser, an der Reling standen die Menschen dicht gedrängt. Wer ein Fernglas hatte, starrte damit auf Seesoldaten, Marineoffiziere und einige Sträflinge, die bereits an Land gegangen waren, sowie auf zahlreiche Eingeborene. Doch offenbar hatte das Treiben an der Küste nichts zu bedeuten. Es wurde gemunkelt, der Gouverneur betrachte die Botany Bay als ungeeignet für das wichtige Experiment und sei in einem großen Beiboot weggefahren, um sich eine nahe gelegene Bucht namens Port Jackson anzusehen. Captain Cook hatte die Bucht zwar auf seinen Karten verzeichnet, aber nicht selbst befahren.
    Richard fand die Botany Bay entsetzlich, und genauso ging es den anderen, egal ob Freie oder Strafgefangene. Keiner, nicht einmal der weit gereiste Seemann Donovan, konnte sich an eine ähnliche Landschaft erinnern. Sie war flach, unfruchtbar und sumpfig, eine menschenfeindliche Einöde. Auf die Insassen des Gefängnisses auf der Alexander wirkte sie wie ein endloser Friedhof.
    Dann erging der Befehl, für die erste Ansiedlung solle nicht die Botany Bay, sondern Port Jackson gewählt werden. Die Seeleute machten das Schiff segelfertig, doch es herrschte starker auflandiger Wind und über die schmale Barre brandeten so gewaltige Brecher, dass an ein Auslaufen nicht zu denken war. Am Horizont kamen zwei riesige Schiffe in Sicht. Sie nahmen Kurs auf den Hafen.
    »Das ist ein so seltsamer Zufall wie zwei irische Bauern, die sich
am Hof der Zarin von Russland treffen«, bemerkte Donovan, der sich mit Captain Sinclair und Mr Long ein Fernglas teilte.
    »Engländer, jede Wette«, sagte Jimmy Price.
    »Nein, Franzosen. Vermutlich die Expedition des Comte de la Perouse. Schiffe 3. Ranges, deshalb sind sie auch so groß. Eines davon muss die Boussole sein, das andere die Astrolabe . Wahrscheinlich wundern die sich mehr über uns als wir über sie. La Perouse hat Frankreich 1785 verlassen, lange bevor über unsere Reise gesprochen wurde. Vielleicht haben sie irgendwo unterwegs von uns gehört. La Perouse gilt seit einem Jahr als vermisst. Nun - hier ist er.«
    Am folgenden Tag unternahmen sie einen weiteren Versuch, die Bucht zu verlassen. Doch auch diesmal hatten sie kein Glück. Die beiden französischen Schiffe, von den Winden nach Süden und

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