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Insel der Verlorenen Roman

Titel: Insel der Verlorenen Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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signalisierte, dass sie den Sturm unbeschadet überstanden hatte. An Bord der Friendship , die Sturzseen von hinten und von der Seite abbekommen hatte, war keine Faser trocken geblieben.
    Doch die Ostroute war gefunden, und die drei Schiffe preschten, jeweils durch eine Kabellänge getrennt, nebeneinander durch die See und legten mindestens 160 Meilen pro Tag zurück. Sie hatten mittlerweile den 40° südlicher Breite erreicht und stießen noch weiter nach Süden vor. Anfang Dezember gerieten sie abermals in einen Sturm. Er war noch schlimmer als der letzte, tobte sich zum Glück aber schneller aus. Obwohl es Sommer war, herrschte eisige Kälte. Die ärmsten und weniger weit blickenden Sträflinge, die nur dünnes Leinenzeug besaßen, rutschten zusammen, um sich gegenseitig zu wärmen, obwohl sie dank der Todesfälle über zusätzliche Decken verfügten. Auch das Stroh kam ihnen sehr gelegen.
    Unter den Gefangenen und Seesoldaten brach die Ruhr aus, und wieder starben Männer. Die Scarborough und die Friendship übermittelten, dass auch bei ihnen die Ruhr grassierte. Richard beschwor seine Männer, jeden Tropfen Wasser mit den gereinigten Filtersteinen zu filtern. Wenn alle Schiffe betroffen waren, musste das Trinkwasser verseucht sein. Diesmal unterblieb der Befehl zum Ausschwefeln und Tünchen, wohl weil Bordarzt Balmain begriffen hatte, dass er damit eine Meuterei auslösen würde.
    Obwohl die Friendship mehr Segel gesetzt hatte als je zuvor, konnte sie mit der Alexander und der Scarborough nicht mithalten, die täglich 180 Meilen und mehr zurücklegten. Am Ende der ersten Dezemberwoche wurde es wieder etwas wärmer, und Shortland ließ die beiden Sklavenschiffe Segel wegnehmen, damit die Friendship aufkommen konnte. An einem der folgenden Morgen gerieten sie in einen dichten, weißen Nebel, der von innen heraus schimmerte wie eine riesige Perle, schaurig schön und bedrohlich. Die Alexander lud ihre Kanonen mit Pulver und feuerte sie in regelmäßigen Abständen ab, und ein Seemann schlug die Schiffsglocke
an der Steuerbordreling. Gedämpfter Geschützdonner und leises Läuten von der Scarborough und der Friendship bestätigten, dass sie im Abstand von einer Kabellänge ihren Kurs hielten. Dann, gegen zehn Uhr, riss der Nebel plötzlich auf, die Sonne kam hervor, und eine kräftige Brise blähte die Segel.
    Unmengen von Seegras trieben im Wasser - nach Meinung der Seeleute musste Land in der Nähe sein. Aber es war kein Land zu sehen, nur zahlreiche Rissosdelfine, die sich einen Spaß daraus machten, zwischen den drei Schiffen herumzuflitzen oder unter ihnen durchzutauchen. Zwischen dem Seegras mäanderten breite Bänder aus Fischsamen, von welcher Art, wusste niemand. Irgendwo im Süden lagen die Kerguelen, die »Inseln der Verlassenheit«, wo Cook einst sehr ungewöhnliche Weihnachten verlebt hatte.
    Zwei Tage später war das ganze Meer plötzlich blutrot. Zuerst glaubten die ehrfürchtig staunenden Männer auf der Alexander , es handle sich um das Blut eines erlegten Wales. Doch dann begriffen sie, dass kein Meeresbewohner, und sei er noch so groß, genug Blut hatte, um den Ozean bis zum Horizont rot zu färben. Noch ein Geheimnis der Tiefe, das sie nicht lüften konnten.
    »Langsam begreife ich, warum es Sie in ferne Länder zieht«, sagte Richard zu Donovan. »Ich hatte eigentlich nie den Wunsch, weiter zu reisen als von Bristol nach Bath. Diese kleine Welt war mir vertraut. Aber man kann nur wachsen, wenn man aus seiner beschränkten, vertrauten Welt herausgerissen wird. Vorausgesetzt, man geht an der Ungewissheit nicht zu Grunde, wie einige da unten im Gefängnis. Die Umgebung prägt den Menschen. Sie hat mich geprägt und tut es vielleicht immer noch.«
    »Heimatgefühle sind normal, Richard. Dass ich keine habe, mag daran liegen, dass ich arm war und mich danach sehnte, aus Belfast herauszukommen und die Fesseln der Armut abzuwerfen.«
    »Dann haben Sie eine Armenschule besucht?«
    »Nein. Ein freundlicher Gentleman nahm mich unter seine Fittiche und brachte mir Lesen und Schreiben bei. Bildung, so sagte er - und er hatte Recht -, öffnet dir das Tor zu einem besseren Leben.«

    Donovan lächelte, wie von einer lieben Erinnerung erfüllt. Richard wollte nicht tiefer in ihn dringen und wechselte das Thema.
    »Warum hat sich die See rot verfärbt? Haben Sie so etwas schon mal gesehen?«
    »Nein, aber davon gehört. Seeleute sind abergläubisch, und Sie werden feststellen, dass die meisten darin ein böses

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