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Insel der Verlorenen Roman

Titel: Insel der Verlorenen Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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nicht! Lizzie war und ist für mich so etwas wie eine Schwester. Sie hat schreckliche Angst vor einer Schwangerschaft, deshalb wollte auch sie nicht mit mir schlafen.«
    Die Ellbogen auf die Knie und das Gesicht in die Hände gestützt, starrte Donovan Richard verwirrt an. Was war nur mit ihm los? Was stimmte nicht mit ihm? Richard war doch ein kluger Mann, der seinen Willen durchsetzte und wusste, wie man mit Vorgesetzten umzugehen hatte. Dabei war er kein Kriecher wie die meisten Sträflinge, dazu war er viel zu stolz. Donovan wurde nicht schlau aus ihm, er konnte nur Vermutungen anstellen.
    »Wenn ich die Geschichte Ihres Lebens kennen würde, Richard, könnte ich Ihnen vielleicht helfen«, sagte er. »Erzählen Sie sie doch.«

    »Ich kann nicht.«
    »Sie haben furchtbare Angst, aber nicht vor Geschlechtsverkehr. Sie haben Angst vor der Liebe. Aber wovor muss man bei der Liebe Angst haben?«
    »Ich will nicht noch einmal durchmachen, was ich schon einmal durchgemacht habe«, sagte Richard und holte tief Luft. »Das würde ich nicht überleben. Ich kann Lizzie wie eine Schwester lieben und Sie wie einen Bruder, mehr nicht. Die allumfassende Liebe, die ich für meine Frau und meine Kinder empfand, ist mir heilig.«
    »Und sie sind tot.«
    »Ja.«
    »Aber Sie sind noch jung, und hier ist ein anderes Land. Warum nicht noch einmal von vorne anfangen?«
    »Alles ist möglich, aber nicht mit Lizzie Lock.«
    »Warum wollen Sie sie dann heiraten?«, fragte Donovan. Seine Augen glänzten feucht.
    »Weil sie ein schweres Schicksal gehabt hat und ich sie auf brüderliche Weise liebe. Liebe lässt sich nicht erzwingen, Mr Donovan. Wenn es so wäre, würde ich vielleicht beschließen, Lizzie Lock zu lieben. Aber das ist unmöglich. Wir waren im Gefängnis von Gloucester ein ganzes Jahr zusammen, ohne uns zu verlieben.«
    »Dann ist das, was Sie da vorhaben, gar nicht so gefühlskalt. Und Sie haben Recht. Liebe lässt sich nicht erzwingen. Wenn Sie Lizzie Lock jedoch heiraten, sind Sie nicht mehr frei, um jemand anders zu heiraten. Das könnte eines Tages wichtig sein.«
    »Sie raten mir also ab?«
    »Ja.«
    »Ich werde darüber nachdenken.« Richard stand schwerfällig auf.
     
    Am Montagmorgen holte sich Richard die Erlaubnis von Major Ross, Reverend Johnson aufzusuchen. Diesen wiederum bat er, Elizabeth Lock im Frauenlager besuchen zu dürfen, um ihr womöglich einen Heiratsantrag zu machen.
    Mr Johnson war Anfang dreißig, hatte ein rundes Gesicht und
volle Lippen und wirkte leicht feminin. Er trug einen steifen weißen Kragen und ein schwarzes Pastorengewand, das seinen Bauch verdeckte, denn natürlich wollte er inmitten des allgemeinen Hungers nicht allzu wohlgenährt erscheinen. Seine hellen Augen glühten vor missionarischem Eifer. In Neusüdwales hatte er seine Bestimmung gefunden: Er war der Hüter der Moral, kümmerte sich um Kranke und Waisen, führte die Kirche nach seinen eigenen Vorstellungen und wollte als Wohltäter der Menschheit gelten. Seine Absichten waren redlich, doch galt sein Mitgefühl ausschließlich den Hilflosen. Die erwachsenen Sträflinge waren in seinen Augen alle verderbte Menschen und nicht der Rettung wert. Denn wenn sie nicht verderbt waren, warum waren sie dann Sträflinge?
    Mr Johnson erfuhr, dass Richards Onkel zweiten Grades Pfarrer der St.-James-Kirche in Bristol war. Morgan erschien ihm außerdem als ein gebildeter, höflicher und aufrichtiger Bursche, deshalb gab er ihm anstandslos einen Passierschein. Die Hochzeit Richards mit Elizabeth Lock setzte er vorläufig schon einmal für den folgenden Sonntag an.
    Bei Sonnenuntergang machte Richard sich auf den Weg ins Frauenlager. Er zeigte dem Wachtposten seinen Schein und fragte ihn, wo er Elizabeth Lock finden könne. Der Posten wusste es nicht, aber eine Frau mit einem Wassereimer in der Hand hörte zufällig mit und wies auf ein Zelt. Wie klopfte man an ein Zelt? Richard machte sich durch ein kratzendes Geräusch am geschlossenen Eingang bemerkbar.
    »Herein, wenn du gut aussiehst!«, ertönte eine weibliche Stimme.
    Richard schob die Leinwand beiseite und betrat einen Schlafraum, in dem eigentlich nur zehn Frauen Platz hatten, doch stattdessen zwanzig untergebracht waren. An beiden Längsseiten des Zeltes standen dicht nebeneinander zehn schmale Pritschen, und der Boden war mit den verschiedensten Dingen von einer Hutschachtel bis zu einer Katzenmutter, die sechs Junge säugte, voll gestellt. Die Zeltbewohnerinnen, die eben noch am

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