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Insel der Verlorenen Roman

Titel: Insel der Verlorenen Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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mutiger wurde, »warum wohnen Sie dann nicht hier? Wenn Sie im Haus wären, bräuchte er kein Mädchen.«
    »Ich wohne nicht hier, weil ich es nicht will«, erwiderte Mrs. Morgan hochmütig. »Ich arbeite als Wirtschafterin bei Major Ross.«

»Dann will ich Sie nicht länger aufhalten. Sie haben sicher viel zu tun.«

    Die Besucherin fuhr in die Höhe. »Dürr wie ein Besenstiel!«, rief sie und trippelte zur Tür.
    »Ich mag hässlich sein, Mrs Morgan, aber wenigstens bin ich keine alte Schachtel. Oder sind Sie die Geliebte des Majors?«
    »Kleine Schlampe!«
    Mit wippenden Federn trippelte sie den Weg hinunter.
    Als Kitty sich vom ersten Schrecken erholt hatte - mehr über ihre eigene Kühnheit als über Mrs Morgans Benehmen und Ausdrucksweise -, dachte sie noch einmal in Ruhe über die Begegnung nach. Die Frau war weit über dreißig und trotz ihrer Aufmachung ziemlich hässlich, wie sie ja selber zugegeben hatte. Wenn Kitty Major Ross nach ihrer ersten und einzigen Begegnung richtig einschätzte, war diese Frau nie und nimmer seine Geliebte. Der Mann war sehr wählerisch. Aber warum war sie überhaupt gekommen? Oder, noch wichtiger, warum wohnte sie nicht bei ihrem Mann? Kitty schloss die Augen und vergegenwärtigte sich noch einmal das Gesicht der Frau, und mit einem Mal sah sie Dinge, die sie in ihrer Verblüffung vorhin nicht bemerkt hatte. Schmerz, Trauer, Wut. Mrs Richard Morgan hatte ihr, der vermeintlichen Rivalin, etwas vorgespielt. Sie hatte sie von oben herab behandelt und beleidigt, um ihren Kummer darüber zu verbergen, dass sie verlassen worden war. Woher willst du das wissen, Kitty? Doch, ich weiß es, ich weiß es… Sie hat ihn nicht verlassen. Er hat sie verlassen! Alles andere ergibt keinen Sinn. Ach, die arme Frau!
    Zufrieden mit dem Ergebnis ihrer Kombinationen setzte sie sich aufs Bett und wartete im Schein des verglimmenden Feuers auf Richards Heimkehr. Wo steckte er nur?
    Zwei Stunden nach Einbruch der Dunkelheit sah sie seine Fackel flackernd den Weg heraufkommen. Richard hatte wie an den meisten Abenden in der Sägegrube gegessen und war dann in die Brennerei geeilt, um dort nach dem Rechten zu sehen, persönlich festzustellen, wie viel Rum produziert worden war, und die Menge in sein Buch einzutragen. In Bälde würde man die Anlage stilllegen müssen, denn Fässer und Zucker wurden knapp. Bis dahin dürfte die Anlage insgesamt 5000 Gallonen produziert haben.
    »Warum bist du noch wach?«, fragte er. Er schloss die Tür hinter
sich, trat zum Kamin und legte Scheite aufs Feuer. »Und wieso stand die Tür offen?«
    »Ich hatte Besuch«, sagte sie in bedeutungsvollem Ton.
    »Ach ja?«
    Aber er wollte nicht wissen, wer sie besucht hatte, der Spielverderber.
    »Von Mrs Richard Morgan«, sagte sie wie ein trotziges Kind.
    »Ich habe mich schon gefragt, wann sie endlich aufkreuzen würde.«
    »Wollen Sie denn nicht wissen, was vorgefallen ist?«
    »Nein. Und jetzt leg dich hin und schlaf.«
    Kitty sank nach hinten, und kaum lag sie ausgestreckt da, befiel sie eine bleierne Schwere. »Sie haben sie verlassen, ich weiß es«, sagte sie schläfrig. »Die arme Frau.«
    Richard wartete, bis sie eingeschlafen war, dann schlüpfte er in sein Nachthemd. Das Holz für den Anbau lag schon bereit, und am Samstag wollte er mit dem Schlitten Steine für das Fundament holen. Ein Monat noch, dann hatte er endlich seine Ruhe vor ihr, wenigstens in dem Zimmer, in dem er schlief. Er trug sich sogar mit der Absicht, ihr eine eigene Haustür zu zimmern und sich für seine Seite der Verbindungstür einen Riegel zu besorgen. Dann konnte er sich wieder wie sein eigener Herr fühlen und nackt schlafen, wie er es gewohnt war. Kitty. Jahrgang 1770, genau wie die kleine Mary. Ich bin ein alter Narr, und sie eine junge Närrin. Das Letzte, was er vor dem Einschlafen sah, war die Wölbung ihres Körpers, der reglos und still in seinem Bett lag. Kitty schnarchte nicht.
    »Was ist ein warmer Bruder?«, fragte sie ihn am nächsten Tag, als er zum Mittagessen nach Hause kam.
    Der Bissen Brot blieb ihm im Hals stecken. Er würgte, hustete und musste sich auf den Rücken klopfen und Wasser bringen lassen. »Entschuldigung«, keuchte er mit tränenden Augen. »Wie war das?«
    »Was ist ein warmer Bruder?«
    »Wieso fragst du das? Hast du das von Lizzie Lock?« Seine Miene ließ nichts Gutes ahnen.
    »Lizzie Lock?«

    »Mrs Richard Morgan.«
    »Heißt sie so? Ein merkwürdiger Name. Lizzie Lock. Sie haben sie verlassen,

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