Insel der Verlorenen Roman
zuerst auf die höhere Schule und dann auf die Universität zu schicken, dachte Richard. Er soll nicht mit zwölf bei einem Rechtsanwalt oder Apotheker - oder Büchsenmacher! - anfangen und dort sieben Jahre lang als unbezahlter Sklave dienen. Ich hatte mit Habitas Glück, aber wie viele junge Lehrlinge können sagen, dass sie einen guten Lehrherrn haben? Nein, ich will nicht, dass mein einziges Kind ihr Schicksal teilt. Von Colston muss er aufs Bristoler Gymnasium wechseln und dann nach Oxford oder Cambridge. Er macht seine Schularbeiten gern, und das Lesen bereitet ihm wie mir keine Mühe. Er lernt gern.
In der Küche stand Peg neben Mag. Beide Frauen waren mit den letzten Vorbereitungen für das Abendessen beschäftigt, während Richard zwischen den besetzten Tischen hin und her ging, leere Gläser mitnahm und volle Gläser hinstellte. Die Stimmung in der Familie hatte sich gegenüber früher deutlich gehoben. Peg schien endlich auf dem Wege der Besserung zu sein. Sie brachte gelegentlich sogar ein Lächeln zu Stande, machte nicht mehr so viel Aufhebens um William Henry, und im Bett wandte sie sich Richard manchmal aus freien Stücken zu, freilich nicht mehr mit der Liebe von einst, nein. Jene Liebe war der Stoff gewesen, aus dem die Träume gemacht sind, und Richards Träume verflüchtigten sich zunehmend. Nur junge Leute haben die Kraft zu träumen, dachte Richard. Mit fünfunddreißig Jahren bin ich nicht mehr jung. Mein Sohn ist neun, und ich gebe meine Träume an ihn weiter.
Gemeinsam mit einem Dutzend anderer Männer überwies Richard Mr Latimer sein Geld. Mr Latimer sollte damit, so wurde ausdrücklich festgehalten, eine neue Dampfmaschine entwickeln. Keiner der Investoren, zu denen auch Vetter James, der Apotheker,
gehörte, erhielt Anteile an der Messinggießerei selbst, die die Spezialketten für die Admiralität und deren neue Bilgenpumpen herstellte.
Richard war so fasziniert von Latimers Plänen, dass er die Messinggießerei fast täglich besuchte. »Ich schließe über Weihnachten«, sagte Latimer eines Tages gegen Ende des neblig-grauen Herbstes.
»Wie ungewöhnlich«, kommentierte Richard.
»Die Arbeiter erhalten in dieser Zeit natürlich keinen Lohn! Ich habe festgestellt, dass in der Weihnachtszeit ohnehin nicht sauber gearbeitet wird. Zu viel Rum im Spiel. Obwohl ich nicht weiß, was die armen Teufel zu feiern haben!« Latimer seufzte. »Die Zeiten sind nicht besser geworden, auch nicht mit dem jüngeren Pitt als Schatzkanzler.«
»Das ist ja auch gar nicht möglich, Tom. Pitt kann den Krieg mit Amerika nur durch Steuererhöhungen und neue Steuern finanzieren.« Richard lächelte verschmitzt. »Natürlich könntest du deinen Arbeitern ein fröhliches Weihnachtsfest bereiten, indem du sie für die Urlaubszeit bezahlst.«
Mr Latimer ließ sich die gute Laune nicht verderben. »Unmöglich. Wenn ich das täte, würden mich die anderen Arbeitgeber von Bristol boykottieren.«
Richard freute sich, dass er über Weihnachten mehr Zeit im Cooper’s Arms verbringen konnte. William Henry hatte ebenfalls Ferien, und im Wirtshaus wurde munter gezecht. Mag und Peg hatten köstliche Pasteten zubereitet, die mit reichlich Weinbrandsoße übergossen wurden. Ein großes Stück Wildkeule briet an einem Spieß, und Dick kochte seinen Festtagspunsch aus süßem, gewürztem Wein. Richard teilte Geschenke aus: eine grau getigerte zweite Katze für Dick, die Gin ausschenken sollte, je einen Schirm aus grüner Seide für Mag und Peg und für William Henry ein Päckchen mit Büchern, einen Stapel allerbesten Schreibpapiers, einen prächtigen, lederbezogenen Korkball und nicht weniger als sechs Schreibstifte aus Cumberland-Graphit.
Dick war entzückt über seine Ginkatze, Mag und Peg waren regelrecht überwältigt.
»Ein solcher Luxus!«, rief Mag begeistert. Sie öffnete ihren Schirm und bestaunte die Farbeffekte, die sich ergaben, wenn man das Lampenlicht durch den dünnen jadegrünen Stoff betrachtete. »Wie elegant wir damit aussehen werden, Peg! Damit stellen wir sogar Base Ann in den Schatten.« Sie drehte sich übermütig um sich selbst, dann schloss sie den Schirm hastig wieder. »William Henry, untersteh dich, hier drinnen mit diesem Ball zu werfen!«
Für William Henry war natürlich der Ball das Beste aller Geschenke, freilich dicht gefolgt von den Stiften. »Papa, du musst mir zeigen, wie man sie anspitzt. Sie sollen so lange wie möglich halten«, sagte er freudestrahlend. »Wie Mr Parfrey
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