Insel der Verlorenen Roman
ohne Einleitung. »Ich muss mit Vater unter vier Augen sprechen.«
Dick machte sich auf die Geschichte eines hübschen Mädchens gefasst, das Richard am Sonntagmorgen in der St.-James-Kirche gesehen hatte. Stattdessen hörte er von einer dreisten Schurkerei.
»Was soll ich tun, Vater?«
Ein Schulterzucken, eine gequälte Miene. »Ein ehrlicher Mann hat nur eine Wahl. Geh sofort, aber ohne dass jemand es bemerkt, zum Leiter der Steuerbehörde. Er heißt Benjamin Fisher.«
»Aber dein Geschäft, Vater, deine Freundschaft mit Thomas Cave - alles wäre ruiniert!«
»Unsinn«, sagte Dick entschieden. »Es gibt auch noch andere Rumbrenner in Bristol, die guten Rum machen. Ich kenne sie und stehe mit ihnen auf gutem Fuß. Tom Cave ist mehr ein alter Bekannter als ein Freund, Richard. Du hast ihn noch nie bei mir essen sehen, und ich habe ihn noch nie besucht. Außerdem«, Dick grinste, »wusste ich schon immer, dass er ein durchtriebener Bursche ist. Man sieht es an seinen Augen. Sie weichen einem immer aus.«
»Stimmt«, sagte Richard, »das habe ich bemerkt. Aber Cave tut mir immer noch mehr Leid als Thorne. Was Ceely betrifft« - er machte eine Handbewegung, als wollte er etwas Unangenehmes von sich wegschieben -, »der Mann ist ein Teufel. Was für ein Schauspieler! Der vermeintliche Trottel ist ein gerissener Hund.«
»Du arbeitest heute nicht«, sagte Dick und schob Richard in Richtung Treppe. »Zieh deine Sonntagskleider an, nimm meinen
neuen Hut, und ab zum Steueramt. Und kein Wort zu irgendjemand, hörst du? Mach nicht so ein verdrießliches Gesicht. Wenn diese Kerle nur halb so viel Rum abgezweigt haben, wie du vermutest, wirst du für deine Mühe reichlich belohnt werden. So reichlich, dass William Henrys Ausbildung gesichert ist.«
Der Gedanke daran veranlasste Richard schließlich, zum Queen Square aufzubrechen. Er trug seine dunklen Sonntagskleider und hatte Dicks besten Hut aufgesetzt. Das Steueramt war am Ende eines Häuserblocks zwischen dem Queen Square und der Princes Street untergebracht, einer vornehmen Straße, in der auch das Haus von Mr Thomas Cave stand. Richard bemerkte schnell, dass es einen großen Unterschied zwischen den Beamten der Behörde und den Steuerinspektoren vor Ort gab. Die Beamten schliefen - besonders an Montagen - auf ihren Schreibtischen den Rausch des Vortags aus. Sie waren schlecht organisiert, gleichgültig und faul. Richard brauchte einige Stunden, um sich in der Behördenhierarchie nach oben durchzuarbeiten. Jedes Mal, wenn er in eines der gelangweilten Gesichter sah, musste er sich beherrschen, damit er nicht ausfällig wurde.
Um drei Uhr nachmittags war er endlich am Ziel. Er hatte nicht zu Mittag gegessen und war mit seiner sprichwörtlichen Geduld am Ende.
»Sie haben fünf Minuten Zeit, Mr Morgan«, sagte Mr Fisher, der hinter seinem Schreibtisch sitzen blieb.
Mr Fisher musterte Richard durch seine kleinen runden Brillengläser. Für das Studium der ordentlich auf seinem Schreibtisch aufgestapelten Akten brauchte er die Brille nicht. Er war kurzsichtig. Sein Platz war immer am Schreibtisch gewesen. Das hatte zur Folge, dass sein Sachverstand sich grundlegend von dem seiner Mitarbeiter im Außendienst unterschied. Es kann allerdings auch bedeuten, dass er keine Bestechungsgelder annimmt, dachte Richard. Denn die Steuereintreiber draußen tun das mit Sicherheit. Deshalb bin ich ja hier.
Richard erzählte seine Geschichte in wenigen Worten.
»Wie viel Rum bringen diese Leute Ihrer Schätzung nach wöchentlich auf die Seite?«, fragte Mr Fisher, als Richard fertig war.
»Wenn sie alle drei Wochen tätig werden, Sir, über 3600 Liter pro Woche.«
Das gab der Sache ein anderes Gewicht! Mr Fisher richtete sich auf, legte seine Schreibfeder nieder und schob das Blatt Papier, auf dem er sich Notizen gemacht hatte, zur Seite. Die Brille saß wieder auf seiner Nase. Seine Augen, zwei blasse Murmeln, die hinter dem dicken Glas verschwammen, starrten Richard an.
»Mr Morgan, das wäre ein gewaltiger Betrug! Könnten Sie sich bei Ihren Schätzungen getäuscht haben?«
»Ja, Sir, das wäre natürlich möglich. Aber wenn die Männer wirklich alle drei Wochen eine Ladung Fässer verschieben, dann sind es 3600 Liter pro Woche. Gestern war der 1. Juni, und ich kann bezeugen, dass die Fässer, die die drei Männer in die Brennerei gebracht haben, ganz leer waren. Sie konnten die Fässer wie Bälle durch die Gegend treten. Die Fässer, die sie holten, waren dagegen so voll,
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