Insel der Verlorenen Roman
Sie ist ja immer bei uns gewesen. Jetzt müssen wir uns daran gewöhnen, ohne sie zu leben, und das wird schwer sein. Aber vergiss nie, wie glücklich sie jetzt aussieht.
Als ob ihr nichts Böses widerfahren wäre. Und so ist es auch gewesen, William Henry.«
»Und ich habe immer noch dich, Papa.« Die Gestalt in der Decke drückte sich an ihn und legte den Kopf auf seinen Arm. Das Schluchzen war in einen Schluckauf übergegangen. »Ich habe immer noch dich. Ich bin kein Waise.«
Am Vormittag bestattete Vetter James, der Kirchenmann, Margaret Morgan, die innig geliebte Frau von Richard Morgan und Mutter von William Henry, geboren im Jahr 1750, neben ihrer Tochter Mary. Weil es Ende Januar war, gab es keine Blumen, nur immergrüne Pflanzen. Richard zeigte keine unmännlichen Regungen. Er weinte nicht. Und William Henry schien sich nach den vielen Tränen mit dem Geschehenen abgefunden zu haben. Nur Mag schluchzte, sie trauerte um ihre Nichte ebenso wie um ihre Schwiegertochter. Der Herr gibt und der Herr nimmt. So ist das Leben.
Der Tod der Mutter verband William Henry noch fester mit dem Vater. Richard freilich musste sechs Tage in der Woche von morgens bis abends arbeiten und hatte nur ein paar kurze Minuten vor dem Einschlafen und sonntags für William Henry Zeit. Die Brennerei war nicht die Büchsenmacherwerkstatt und Thomas Cave nicht Tomas Habitas. Nur William Thorne hatte besondere Privilegien. Er verschwand immer wieder für einige Stunden, und wenn er zurückkam, wirkte er sehr zufrieden. Richard fiel auf, dass Thomas Cave jedes Mal zur Stelle war, wenn Thorne ging, und ängstlich, aber keineswegs wütend auf dessen Rückkehr wartete. Cave wirkte eher angespannt und besorgt. Warum? Hätten Richard nicht eigene Sorgen beschäftigt, wäre ihm mit Sicherheit mehr aufgefallen. Doch die Arbeit konnte ihn nur dann trösten, wenn er ganz und gar darin aufging.
Ab und zu erhielt die Brennerei Besuch von einem Steuerinspektor. William Thorne führte ihn stets persönlich durch die Fabrik. Zaungäste duldete er dabei nicht.
Der zweite regelmäßige Besucher schien nur ein Freund Thornes zu sein, was insofern befremdete, als die beiden Männer wenig
gemeinsam hatten. Ceely Trevillian war reich, eitel und unglaublich dumm.
Seine Perücken waren schneeweiß gepudert, und er band sie nur mit schwarzem Samt. Sein ausdrucksloses Gesicht war geschminkt und zurechtgemacht. Er trug bestickte Samtmäntel und prächtige Westen. Die Absätze seiner Schuhe waren so hoch, dass er sich auf einen bernsteinfarbenen Stock stützen musste, und sein Parfüm roch so stark, dass es sogar den Gestank des Rums überlagerte.
Natürlich stellte Thorne den Besucher nicht vor, als dieser zum ersten Mal nach Richards Arbeitsantritt bei Cave erschien. Ceely, wie Thorne ihn nannte, blieb selbst vor dem neuen Angestellten stehen und starrte ihn mit unverhohlenem Begehren an. Anscheinend gefallen ihm nackte Unterarme, dachte Richard mürrisch, als Mr Trevillian genug gesehen hatte und in Thornes Gefolge davontrippelte. Richard wusste genau, wer Ceely Trevillian war: der ältere Sohn von Mr und Mrs Maurice Trevillian aus der Park Street, ebenjenem reichen Paar, das vor seinem eigenen Anwesen von Straßenräubern überfallen worden war. Die Trevillians kamen aus Cornwall, hatten bedeutende Geschäftsinteressen in Bristol und waren mit einer uralten Londoner Kaufmannsdynastie namens Ceely verwandt. Dieser Ceely hier war, wie ganz Bristol wusste, ein Junggeselle mit zweifelhaften sexuellen Vorlieben, ein fauler und dummer Taugenichts. Sein jüngerer Bruder stach ihn in allen Belangen des praktischen Lebens aus.
Einige weitere Besuche von Mr Trevillian ließen Richard allerdings am Urteilsvermögen der Bristoler zweifeln: Hinter Mr Trevillians dummem und läppischem Auftreten verbarg sich ein scharfer Verstand. Trevillian verstand eine Menge vom Schnapsbrennen und eine Menge vom Geschäftemachen. Die Tarnung als Idiot war dabei nur nützlich: Wenn er wie ein Einfaltspinsel in der Börse herumstand, bemühten sich seine Nachbarn erst gar nicht, ihre geschäftlichen Pläne vor ihm geheim zu halten, und das ließ sie zuletzt womöglich den Kürzeren ziehen.
Im April schließlich erschien Ceely Trevillian Arm in Arm mit Mr Thomas Cave. Aha!, dachte Richard, Ceely ist an der Brennerei
finanziell beteiligt - nur das kann das unterwürfige Benehmen des alten Tom Cave erklären. Allerdings konnte Ceely kein offizieller Partner sein, Dick hätte
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