Insel der Versuchung
bis sie sich wieder halbwegs menschlich fühlte. Auf Einladung des Kapitäns begab sie sich bei Sonnenuntergang an Deck zu den anderen Wächtern.
Sie hatten sich alle um Ryder geschart, der wie ein Herrscher aus dem Orient auf seinen Kissen thronte, begossen ihren Erfolg mit Gläsern feinsten Madeiras. Nach mehreren Toasts auf den siegreichen Ausgang hielt Isabella eine bewegende Ansprache, in der sie ihren lieben Freunden und Mr. Leighton für ihre Rettung dankte.
Caro bemerkte, dass Max sie während der Rede mit derselben düsteren Miene wie auf der Hinreise betrachtete - als müsse er seine Gefühle mit Gewalt unter Kontrolle halten.
Es fiel ihr schwer wegzuschauen, denn sie selbst hatte mit ihren Gefühlen zu kämpfen. Besondere Sorge bereiteten ihr Max’ Zukunftspläne. Die überstandenen Gefahren hatten ihm die Vorstellung sicher nicht schmackhaft gemacht, den Wächtern beizutreten.
So war sie dankbar, dass Isabella sie kurz darauf aus ihren Überlegungen riss, indem sie sich bei ihr unterhakte und sie zur Reling führte.
Rotgoldene Sonnenstrahlen schienen auf das Mittelmeer, verwandelten die Wasseroberfläche in schimmerndes Kupfer. Es war ein atemberaubend schöner Anblick, ein Symbol des Lebens, der Hoffnung und unendlicher Freiheit.
Isabella atmete tief ein, genoss die Schönheit um sie herum und erschauerte schließlich ergriffen.
„Ich weiß, ich habe eingewilligt“, erklärte sie mit plötzlich tränenerstickter Stimme, „dich nicht mit weiteren Dankesbezeigungen zu quälen, aber wenn ich dies hier sehe, wird mir klar, was ich fast verloren hätte. Ich hatte schon Angst, ich würde das Meer nie Wiedersehen oder die Menschen, die mir wichtig sind.“
Caro legte ihrer Freundin den Arm um die Taille und drückte sie an sich. „Es ist vorbei, Bella. Du musst versuchen, das alles hinter dir zu lassen. Jetzt bist du wieder bei uns, und darauf allein kommt es schließlich an.“
Hart schluckend antwortete Isabella mit einem wässrigen Lächeln. Es dauerte jedoch nicht lange, bis sie sich wieder gefangen hatte. „Dein Mr. Leighton hat sich große Sorgen um dich gemacht, als ihr von uns getrennt wart.“
Caro zögerte, bevor sie nickte. „Das überrascht mich nicht. Max neigt dazu, sich für alle verantwortlich zu fühlen, an denen ihm etwas liegt.“
„Dann scheint ihm an dir viel zu liegen.“
Caro schaute hinaus auf das schimmernde Meer. Sie wusste, dass sie Max etwas bedeutete, aber die Frage war, wie viel. Genug, um auf Kyrene zu bleiben, jetzt, da ihre Mission vorüber war? Genug, um ein Mitglied der Wächter des Schwertes zu werden? Genug, um zu verstehen, dass dies die Berufung ihres eigenen Lebens war, und sie zu der Seinen zu machen?
Verzweifelt versuchte sie, nicht an die Zukunft zu denken. Tagelang war sie zu erschöpft gewesen, sich auf etwas anderes zu konzentrieren als ihr Überleben. Und gewiss war die Sache der Wächter viel wichtiger als ihre eigenen Gefühle. Doch nun, da sie über ihren Erfolg erfreut sein müsste, konnte sie die Bedrückung nicht abschütteln, weil ihre Beziehung mit Max sicher bald zu Ende ging. Sein Ziel, ihre Freundin zu befreien, war erreicht, und daher hatte er keinen Grund, länger auf Kyrene zu bleiben.
Vielleicht ging er ihr deswegen aus dem Weg. Nach der ersten Begrüßung hatte er keinen Versuch mehr unternommen, sie alleine zu sprechen. Und Caro hatte den schrecklichen Verdacht, dass er seine Entscheidung schon längst getroffen hatte und sie nicht enttäuschen wollte.
Max war ein Soldat gewesen, im Feuer des Krieges gehärtet. Die Narben auf seiner Seele reichten aus, dass jeder Mann es sich zweimal überlegte, ob er sein Leben einer Sache verschreiben sollte, bei der Gefahren allgegenwärtig waren und der Tod der mögliche Ausgang. Eine Sache, bei der man leicht Menschen verlieren konnte, die einem wichtig waren.
Dann scheint ihm viel an dir zu liegen.
Stimmt das wirklich? überlegte Caro. Hatte Max zugelassen, dass sie ihm wichtig wurde, fast gegen seinen Willen? War sie ausschlaggebend für seine Entscheidung, den Wächtern beizutreten, oder nicht?
Während der Flucht hätte sie leicht sterben können. Höchstwahrscheinlich würde Max nicht wollen, dass sie ihr Leben erneut aufs Spiel setzte. Aber würde er wirklich ihre Beziehung beenden und nach England zurückkehren, einfach damit er sich nie mit der Möglichkeit konfrontiert fand, sie sterben zu sehen?
Ihr Inneres verkrampfte sich. Sie wusste, er war ihr wichtig, sehr wichtig. Sie
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