Insel des Sturms
es verschaffte ihr eine überraschende Befriedigung, dass sich die beiden anderen auch über Aidans Vorgehen ärgerten.
Als sie schließlich ging, hatten Mollie und Brenna ihr die Schulter getätschelt, sie umarmt und ihr zu ihrer Standfestigkeit gegenüber diesem männlichen Tyrannen gratuliert. Natürlich konnte sie nicht wissen, dass Mutter und Tochter, sobald sie vor der Tür stand, jeweils zwanzig Pfund hervorholten und auf Aidan wetteten.
Nicht, dass sie kein Mitgefühl gehabt oder gezweifelt hätten an Judes Vernunft und Willensstärke. Nur waren ihr Glaube an das Schicksal und ihre Freude an einer guten Wette einfach größer.
Das Geld in der Tasche fuhr Brenna schnurstracks in den Ort, um Darcy zu erklären, was für ein Idiot ihr Bruder war – und um weitere Wettgelder zu kassieren.
In seliger Unwissenheit kehrte Jude zu ihrem Haus zurück. Die beiden Zuhörerinnen hatten ihr das Herz erleichtert und den Rücken zusätzlich gestärkt. Sie würde sich wohl kaum die Mühe machen, Aidan zur Rede zu stellen, denn es lohnte sicher weder den Aufwand noch die Zeit. Sie bliebe entschieden und gelassen, und dieses Mal wäre er derjenige, der die Blamage einsteckte.
Zufrieden mit sich selbst ging sie direkt zum Telefon in ihrer Küche und unternahm, ohne auch nur einen Augenblick zu zögern, den nächsten Schritt.
Dreißig Minuten später saß sie an ihrem Tisch und legte den Kopf auf ihre Arme.
Sie hatte die Weichen gestellt!
Ihr Apartment in Amerika würde verkauft. Da das Paar, an das Jude für sechs Monate vermietet hatte, bereits angefragt hatte, ob es vielleicht zu erwerben sei, glaubte der Makler zuversichtlich an eine schnelle, reibungslose Abwicklung. Ende des Monats flöge sie zurück, um ihre Besitztümer
zu sichten – das, was sie behalten wollte, zu verschiffen oder einzulagern und den Rest zu verkaufen oder zu verschenken.
So viel zu einem Leben, das sie auf die Erwartungen anderer gebaut hatte! Jude blieb reglos sitzen und wartete mit angehaltenem Atem auf die innere Reaktion ihrer Kühnheit.
Panik? Bedauern? Depression?
Keiner dieser Zustände setzte ein. Sie hatte es getan, absolut spontan, und fühlte sich plötzlich wie befreit. Sie empfand Erleichterung, Vorfreude und den berechtigten Stolz darauf, dass sie den Schritt endlich gewagt hatte.
Miss Murray lebte nicht mehr in Chicago. Von nun an lautete ihre Adresse: Faerie Hill Cottage, Gemeinde Ardmore, Bezirk Waterford, Irland.
Ihre Eltern würden bei der Nachricht bestimmt ohnmächtig.
Bei dem Gedanken setzte sie sich auf und hielt sich beide Hände vor den Mund, um nicht aus vollem Hals loszugackern. Sicher würden sie denken, sie hätte den Verstand verloren. Und niemals würden sie verstehen, dass sie ihn durch diesen Schritt erst gefunden hatte. Sie hatte ihre Entschlussfähigkeit gefunden, ihr Herz und auch ihre wahre Heimat.
Und, so dachte sie ein wenig schwindlig vor Erregung, obendrein ein Ziel.
»Oma, ich habe mich gefunden, in weniger als sechs Monaten ist die wahre Jude F. Murray aufgetaucht. Was sagst du dazu?«
Der Anruf in New York wäre ganz sicher problematischer. Denn er war bedeutsamer. Bedeutsamer als der symbolische Verkauf ihres Apartments, bei dem es ja nur um Geld ging. Der Anruf in New York bedeutete die Zukunft, die Zukunft, die sie sich endlich gestattete.
Sie war sich nicht sicher, ob ihre Bekannte vom College sich wirklich noch an sie erinnerte oder ob sie bloß aus Höflichkeit
so getan hatte. Aber sie hatte den Anruf entgegengenommen und ihr zugehört. Jude konnte sich nicht genau daran erinnern, was sie gesagt und was Holly erwidert hatte. Sie wusste nur, dass die Literaturagentin Holly Carter Fry ihr, Jude F. Murray, erklärt hatte, die Beschreibung ihres Buches gefiele ihr sehr gut, und sie solle ihr doch bitte eine Probe ihrer Arbeit schicken.
Da bereits der Gedanke daran ihren Magen zu wilden Purzelbäumen veranlasste, zwang Jude sich, die Treppe hinaufzusteigen, sich an ihren Schreibtisch zu setzen und, wenn auch mit zitternden Fingern, den Begleitbrief aufzusetzen. Doch ihr Hirn arbeitete wieder mit der alten Logik, und so schrieb sie einen, wie sie dachte, höflichen, professionellen Brief.
Nur einmal musste sie kurz aussetzen und den Kopf zwischen die Knie legen, damit der Schwindel sie nicht übermannte.
Sie nahm die ersten drei Geschichten und das Vorwort, das sie tausendmal verändert, ja, mit ihrem Herzblut geschrieben hatte, und merkte, dass sie um ein Haar geweint hätte, als sie
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