Insel des Sturms
keinen Liebsten?«
»Nein.« Jude dachte kurz an William. Hatte sie ihren Ex-Mann je als ihren Liebsten empfunden? »Niemand Besonderen.«
»Wenn er nichts Besonderes wäre, dann bräuchten Sie ihn wohl auch kaum.«
Da hatte Kelly recht, dachte Jude später, als sie ihre Gäste an die Tür begleitete. Sie konnte nicht behaupten, William wäre ihre große Liebe gewesen, so wie für die alte Maude der alte John Magee. Sie und William waren füreinander ganz einfach nichts Besonderes gewesen.
Doch das hätten sie sein sollen. Und eine gewisse Zeit lang kreiste ihr gesamtes Leben um ihn. Sie hatte ihn geliebt, oder hatte es zumindest geglaubt. Verdammt, mit viel gutem Willen hatte sie ihr Möglichstes getan.
Aber es war eben nicht genug. Wofür sie sich wirklich schämte. Ebenso wie für die Tatsache, mit welcher Leichtigkeit, welcher Gedankenlosigkeit er ihren Treueschwur gebrochen und sie aus seinem Leben entlassen hatte, als wäre sie bar jeder Bedeutung.
Doch ebenso wenig, gestand sie sich inzwischen ein, hätte sie siebzig Jahre lang um ihn getrauert, wenn sein Ende irgendwie heroisch oder tragisch gewesen wäre. Dagegen hätte sie bei einem Unfall Williams wenigstens die Rolle der trauernden Witwe spielen können, statt die der verlassenen Frau.
Wie schrecklich, zu erkennen, dass ihr ein solches Ende ihrer Ehe lieber gewesen wäre als das Ende, zu dem es tatsächlich nach so kurzer Zeit gekommen war.
Was hatte sie mehr geschmerzt, fragte sie sich jetzt. Der Verlust des Mannes oder der Verlust des Stolzes? Wie auch immer die Antwort auf diese Überlegung lautete – niemals würde ihr ein solches Drama noch einmal widerfahren. Sie würde nicht noch einmal erst heiraten und sich dann wieder scheiden lassen, einfach weil man sie manipulieren konnte.
Jetzt ging es allein um sie, konzentrierte sie sich einzig auf die eigene Person.
Nicht, dass sie etwas gegen die Ehe einzuwenden hatte, dachte sie, während sie noch vor der Haustür stand. Die Beziehung ihrer Eltern war solide, sie waren einander treu.
Vielleicht basierte ihre Ehe nicht auf der im Kino und in Büchern zu treffenden wilden, heißen Leidenschaft – aber dafür, dass es Partnerschaften gab, die auch auf Dauer funktionierten, war sie der lebende Beweis.
Vielleicht hatte sie gehofft, mit William etwas Ähnliches zu finden, eine ruhige, würdevolle Ehe, doch es sollte wohl nicht sein. Und die Schuld an dem Misslingen trug ganz allein sie.
Sie hatte leider nichts Besonderes an sich. Beschämt musste sie sich eingestehen, dass er sich lediglich an sie gewöhnt hatte, dass sie Teil seiner Routine geworden war.
Mittwochabends um sieben Treffen mit William in einem ihrer drei Lieblingsrestaurants. Samstags Treffen im Theater oder Kino, gefolgt von einem späten Dinner, wieder gefolgt von einer Runde dezenten körperlichen Zusammenseins. Wenn sich beide Parteien einig geworden waren, anschließend acht Stunden Gesundheitsschlaf, gefolgt von einem ausgedehnten Brunch und einem Gespräch über die Themen der Sonntagszeitung.
Nach diesem Muster hatten sie einander hofiert, und so kam es auf natürliche Weise zur Hochzeit.
Entsprechend leicht war es gewesen, wirklich furchtbar leicht, diese Monotonie zu durchbrechen.
Ach, du große Güte, sie wünschte sich, sie hätte den Mut oder die Größe zu diesem Schritt gehabt! Durch eine schmutzige Affäre in einem billigen Motel. Durch einen Auftritt als Stripperin in einem Hinterhoflokal. Indem sie einfach durchgebrannt wäre und sich einer Motorradgang angeschlossen hätte…
Als sie versuchte sich vorzustellen, wie sie sich in Lederkleidung warf und hinter einem stämmigen, tätowierten Motorradfahrer namens Zero auf den Rücksitz seines heißen Ofens sprang, lachte sie laut auf.
»Tja, nun, das ist ein Anblick, der das Auge eines Mannes
an einem Aprilnachmittag erfreut.« Aidan stand, die Hände lässig in den Taschen seiner Hose, in der Öffnung der Hecke und grinste sie unbekümmert an. »Eine lachende Frau mit Blumen zu Füßen! Angesichts des Ortes, an dem wir uns befinden, könnte man glatt denken, ich wäre über eine Fee gestolpert, die herausgekommen ist, um alle Knospen ringsum zum Erblühen zu bringen.«
Während er sprach, schlenderte er auf das Gartentor zu und blieb dort noch einmal stehen. Nie zuvor in ihrem Leben hatte Jude etwas Romantischeres gesehen als Aidan Gallagher mit seinem dichten, von der Brise leicht zerzausten Haar und seinem klaren, wilden Blick, der, die Klippen im
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