Insel des Sturms
Rücken, an ihrem Zaun stand.
»Aber Sie sind keine Fee, nicht wahr, Jude Frances?«
»Nein, natürlich nicht.« Ohne nachzudenken, hob sie eine Hand, um zu ertasten, ob ihre Frisur in Ordnung war. »Ich, äh, hatte gerade Kathy Duffy und Betsy Clooney zu Besuch.«
»Die beiden habe ich getroffen, als ich den Weg herauf getrabt bin. Sie haben mir von einer schönen Stunde bei Tee und Kuchen berichtet.«
»Sie sind gelaufen? Den ganzen Weg vom Dorf?«
»So weit ist es gar nicht, wenn man gerne zu Fuß geht, und das tue ich.« Wieder wirkte sie ein wenig unglücklich, als wisse sie nicht genau, was sie mit ihm anfangen sollte.
Nun, ihm ging es nicht anders. Aber er wollte, dass sie lächelte, wollte sehen, wie sie ihre Lippen langsam und schüchtern verzog, bis ihre Grübchen zum Leben erwachten.
»Bitten Sie mich vielleicht herein oder soll ich lieber umkehren?«
»Nein, tut mir Leid.« Sie eilte zum Tor und streckte im selben Augenblick wie er die Finger nach der Klinke aus. Seine Hand legte sich warm und fest auf ihren Handrücken, sodass sie die Klinke gemeinsam runterdrückten.
»Woran haben Sie gerade gedacht, dass Sie, als ich kam, derart lachen mussten?«
»Oh, nun …« Da er immer noch ihre Hand hielt, trat sie zögernd einen Schritt zurück. »An nichts Besonderes. Mrs. Duffy hat noch etwas von ihrem Kuchen dagelassen, und Tee ist ebenfalls übrig geblieben.«
Er konnte sich nicht daran erinnern, je eine Frau erlebt zu haben, die, nur weil sie mit ihm sprach, derart verschüchtert war. Aber ihre Reaktion missfiel ihm keineswegs. Wie zur Probe hielt er weiter ihre Hand, als sie sich rückwärts auf die Haustür zubewegte.
»Ich bin sicher, dass Sie von beidem mehr als genug haben. Manchmal brauche ich aber etwas Luft, also unternehme ich mehr oder weniger regelmäßig das, was die Leute Aidans Streifzüge nennen. Falls Sie nicht sofort wieder ins Haus wollen, könnten wir uns doch einen Moment zusammen auf die Eingangstreppe setzen.«
Seine freie Hand umfasste sie und zwang sie zum Stehenbleiben. »Sie sind gerade im Begriff, auf Ihre Blumen zu treten«, murmelte er leise. »Wäre doch ein Jammer, wenn sie platt gedrückt würden, finden Sie nicht auch?«
»Oh!« Vorsichtig machte sie einen Schritt zur Seite. »Manchmal bin ich wirklich ein Trampel.«
»Das finde ich nicht. Höchstens ein bisschen nervös.« Trotz des seltsamen Vergnügens, das er empfand, als sie schamhaft errötete, verspürte er das Bedürfnis, sie irgendwie zu beruhigen.
Er drehte sie mit einer solch flüssigen Geschmeidigkeit um ihre eigene Achse, dass sie, als sie plötzlich mit dem Rücken zu ihm stand, vor Überraschung blinzelte. »Ich habe mich gefragt«, fuhr er, während er sie zur Treppe schob, munter fort, »ob Sie vielleicht Interesse daran haben, die Geschichten zu hören, die ich kenne. Für Ihre Dokumentation.«
»Ja, sehr großes Interesse!« Erleichtert atmete sie auf und
nahm auf der ersten Stufe Platz. »Heute Morgen habe ich angefangen – mit meinem Entwurf und einem ersten Ansatz, um die grundlegenden Strukturen des Themas zu formulieren.«
Sie schlang die Arme um die Knie und verkrampfte sich, als sie merkte, dass er sie reglos anblickte, erneut. »Was ist los?«
Er zog eine seiner Brauen hoch. »Nichts. Ich höre Ihnen zu – und zwar gerne. Ihre Stimme ist so klar und so amerikanisch.«
»Oh!« Sie räusperte sich und starrte reglos geradeaus, als müsse sie die Blumen genau im Auge behalten, damit keine von ihnen aus dem Garten floh. »Wo war ich … ach ja, die Struktur. Die verschiedenen Bereiche, die ich ansprechen will. Natürlich die fantastischen Elemente, aber auch die sozialen, kulturellen und sexuellen Aspekte traditioneller Mythen. Ihre herkömmliche Verwendung zu Unterhaltungszwecken, als Parabeln, zur Warnung, in der romantischen Literatur.«
»Zur Warnung?«
»Ja, zum Beispiel, wenn Mütter ihren Kindern von Sumpf-Feen erzählen, damit sich die Kleinen von gefährlichen Gegenden fern halten, oder Geschichten von bösen Geistern oder ähnlichem, damit sie artig sind. Ich bin sicher, dass die Zahl der grotesken oder abschreckenden Legenden die der guten übersteigt.«
»Und welche davon bevorzugen Sie?«
»Tja, nun!« Sie musste überlegen. »Ich glaube, das hängt von meiner jeweiligen Stimmung ab.«
»Haben Sie viele verschiedene Stimmungen?«
»Wie bitte?«
»Ob Sie viele verschiedene Stimmungen haben. Sie haben stimmungs- oder besser gesagt ausdrucksvolle Augen.« So
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