Insel des Sturms
dieser wunderbaren Einheit nie so richtig dazugehört. »Ich weiß das Angebot zu schätzen, aber ich fühle mich hier wohl. So wohl wie schon seit einer Ewigkeit nicht mehr.«
»Ach ja?« Die Stimme ihrer Mutter klang ein wenig überrascht. »Aber schließlich warst du deiner Großmutter, von der ich dich übrigens herzlich grüßen soll, immer schon sehr ähnlich.«
»Grüß sie bitte zurück.«
»Dann ist dir das Cottage also nicht etwas zu rustikal?«
Jude dachte an ihre anfängliche Reaktion – keine Mikrowelle, kein elektrischer Dosenöffner – und grinste verstohlen. »Ich habe alles, was ich brauche. Draußen vor den Fenstern blühen jede Menge Blumen. Und allmählich kenne ich sogar einige der Vögel.«
»Wie schön für dich. Du klingst wirklich erholt. Hoffentlich fährst du auch noch nach Dublin, solange du in Irland bist. Es heißt, es gäbe dort einige wunderbare Galerien. Und natürlich willst du dir sicher das Trinity College ansehen.«
»In der Tat fahre ich nächste Woche für einen Tag hin.«
»Gut. Gut. Eine kurze Ruhepause auf dem Land wirkt
manchmal Wunder, aber schließlich willst du geistig doch nicht vollkommen einrosten.«
Jude öffnete den Mund, klappte ihn wieder zu und atmete tief ein. »Momentan arbeite ich an einer Dokumentation. Ich finde hier eine Fülle von Material. Außerdem beschäftige ich mich mit der hiesigen Botanik.«
»Wirklich? Ein wunderbares Hobby. Du klingst glücklich, Jude. Das freut mich. Es ist allzu lange her, dass du zum letzten Mal so heiter geklungen hast.«
Jude schloss die Augen und spürte, wie der in ihr aufgestiegene Widerstand bei diesen mütterlichen Worten schwand. »Ich weiß, dass ihr euch Sorgen um mich gemacht habt, und das tut mir Leid. Tatsächlich fühle ich mich großartig. Wahrscheinlich musste ich einfach mal für eine Weile fort.«
»Ich gebe zu, dass sowohl dein Vater als auch ich in Sorge um dich waren. Du wirktest so lustlos und unzufrieden.«
»Das war ich auch!«
»Die Scheidung hat dich ziemlich mitgenommen. Das verstehe ich wahrscheinlich besser als du vielleicht denkst. Es kam alles so plötzlich und war so endgültig – eine böse Überraschung.«
»Für mich auf jeden Fall«, lautete die trockene Erwiderung. »Aber das wäre vermeidbar gewesen, wenn ich die Augen aufgemacht hätte.«
»Möglich«, meinte Linda, und Jude fuhr zusammen, als ihre Mutter ihr derart unumwunden beipflichtete. »Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass William nicht der war, für den wir ihn gehalten hatten. Und das ist einer der Gründe meines Anrufs. Ich hatte das Gefühl, du erführst es besser aus meinem Mund als durch die Gerüchteküche oder dadurch, dass irgendeine Bekannte es dir schreibt.«
»Worum geht es?« Judes Magen zog sich zusammen. »Geht es um William? Ist er krank?«
»Nein, ganz im Gegenteil. Er lässt nichts anbrennen!«
Jude fiel die Kinnlade herunter, als sie plötzlich eine unverhohlene Bitterkeit in der Stimme ihrer Mutter vernahm. »Tja, das ist schön.«
»Du scheinst weniger nachtragend zu sein als ich«, fauchte Linda beinahe zornig. »Mir wäre es lieber, wenn er irgendeine seltene Nervenkrankheit bekäme oder zumindest die Haare verlieren und unter irgendwelchen Gesichtszuckungen leiden würde.«
Von der untypischen Leidenschaft der Mutter ehrlich überrascht, brach Jude in lautes Lachen aus. »Das ist ja entsetzlich! Und zugleich einfach herrlich! Aber ich hatte keine Ahnung, dass du in Bezug auf ihn derart empfindest.«
»Dein Vater und ich haben unser Möglichstes getan, die höfliche Fassade aufrechtzuerhalten, um dir nicht alles noch schwerer zu machen. Es war sicher nicht angenehm für dich, weiter täglich euren zuvor gemeinsamen Freunden und Kollegen gegenübertreten zu müssen! Aber du hast deine Würde nicht verloren. Wir waren sehr stolz auf dich!«
Ihre Würde, dachte Jude. Ja, ihre Würde hatte ihre Eltern immer stolz auf sie gemacht. Wie also hätte sie sie enttäuschen können, indem sie irgendwelche Wutanfälle bekam oder sich öffentlich mit ihrem Ex-Mann stritt? »Das weiß ich zu schätzen.«
»Ich finde, so, wie du hoch erhobenen Hauptes weiter durchs Leben gegangen bist, hast du eine enorme Stärke an den Tag gelegt. Und ich kann mir vorstellen, wie viel es dich gekostet hat. Offenbar war es unerlässlich, dass du deinen Posten an der Uni aufgegeben und für eine Weile fortgegangen bist, um wieder neue Kräfte zu sammeln.«
»Ich hätte nicht gedacht, dass ihr mich derart
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