Insel des Sturms
gut versteht.«
»Natürlich tun wir das, Jude. Er hat dir furchtbar wehgetan!«
Es war so einfach, erkannte Jude mit einem Mal, und
plötzlich stiegen hinter ihren Augen heiße Tränen auf. Weshalb hatte sie ihrer Familie so wenig Mitgefühl zugetraut, war sich maßlos allein vorgekommen? »Ich dachte, ihr hättet mir die Schuld daran zugeschoben, dass unsere Ehe gescheitert ist.«
»Weshalb, in aller Welt, hätten wir das tun sollen? Dein Vater hat sogar gedroht, sich mit William zu prügeln. Selten genug dringt sein irisches Blut derart an die Oberfläche, aber damals hatte ich alle Hände voll zu tun, ihn halbwegs zu beruhigen.«
Jude versuchte sich vorzustellen, wie ihr stets würdevoller Vater dem stets würdevollen William einen Kinnhaken verpasste. Doch es gelang ihr einfach nicht. »Ich kann dir gar nicht sagen, wie viel mir das bedeutet.«
»Und ich habe nie etwas gesagt, weil du so entschlossen gewirkt hast, alles höflich und zivilisiert über die Bühne zu bringen. Weißt du, ich möchte dich wirklich nicht aufregen, aber du sollst es auch nicht von jemand anderem erfahren.«
Wieder zog sich Judes Magen zusammen. »Worum geht’s?«
»William und seine neue Frau nutzen die Semesterferien ebenfalls. Sie fliegen für ein paar Wochen auf irgendeine der Westindischen Inseln. Ausgerechnet dorthin! Und William erzählt jedem, der es hören will oder auch nicht, dass sie diesen exotischen Urlaub machen, ehe sie sesshaft werden müssen. Jude, sie bekommen im Oktober ihr erstes Baby …«
Der Knoten in Judes Magen sank hinab in ihre Zehen. »Verstehe.«
»Der Mann führt sich auf wie ein kompletter Idiot! Ständig schleppt er eins der blöden Sonographie-Bilder mit sich herum und zeigt es herum, als wäre es ein Familienfoto. Und dann hat er ihr zur Feier der Schwangerschaft noch diesen grellen Smaragdring gekauft. Er benimmt sich, als wäre sie die erste Frau der Welt, die je ein Kind empfangen hat.«
»Er ist halt einfach überglücklich.«
»Ich bin froh, dass du es so ruhig aufnimmst. Aber selber bin ich außer mir vor Zorn. Wir haben mehrere gemeinsame Bekannte, und dieses, nun, zur Schau gestellte Glück ist für deinen Vater und mich hin und wieder sehr unangenehm. Man sollte meinen, er besäße etwas mehr Taktgefühl.«
Offensichtlich um sich nicht noch weiter in ihre Empörung zu steigern, machte Linda eine Pause. Als sie schließlich wieder sprach, klang sie gefasst. »Er war es nicht wert, dass du auch nur eine Sekunde deines Lebens mit ihm verbracht hast, Jude! Es tut mir Leid, dass mir das nicht klar war, ehe du ihn geheiratet hast.«
»Mir auch«, murmelte Jude. »Aber bitte mach dir deshalb keine Sorgen. Das Ganze ist aus und vorbei. Ich bedaure, dass es für euch beide jetzt noch hin und wieder peinlich ist!«
»Oh, damit kommen wir durchaus zurecht. Wie gesagt, ich wollte nur nicht, dass du es von jemand anderem hörst. Ich hatte befürchtet, dass du abermals verletzt oder traurig sein würdest. Ehrlich gesagt war ich einfach nicht sicher, ob du inzwischen die Sache überwunden hast. Es ist mir eine große Erleichterung, dass du, wie immer, auch in dieser Angelegenheit derart vernünftig bist.«
»Jaja, die stets ach so vernünftige Jude«, frotzelte sie, während etwas Heißes ihr die Kehle zuschnürte. »Ach ja, bitte grüß ihn doch von mir und wünsch ihm alles Gute, wenn du ihn mal wieder siehst.«
»Das werde ich tun. Was für eine Erleichterung, dass du derart glücklich wirkst. Dein Vater und ich werden uns wieder bei dir melden, sobald wir aus New York zurück sind.«
»Gut. Viel Spaß auf eurem Trip! Recht herzliche Grüße auch an Vater!«
»Danke dir!«
Als sie den Hörer auflegte, fühlte sich Jude wie gelähmt. Sie war vollkommen erstarrt, hatte eine Gänsehaut und das
Blut in ihren Adern kam ihr vor wie Eiswasser. All die Wärme, die Freude, die Zufriedenheit, die sie seit dem Vormittag verspürt hatte, wurden von einem Gefühl der Verzweiflung zunichte gemacht.
William, der mit seiner hübschen neuen Frau auf irgendeine zauberhafte mittelamerikanische Insel jettete. Der dort mit ihr ins schimmernd blaue Meer glitt, mit ihr im Licht des vollen Mondes über zuckrig weiße Strände schlenderte, innig ihre Hand hielt und sie aus verträumten Augen anblickte.
William, der mit seiner bevorstehenden Vaterrolle prahlte, sich mit seiner schwangeren Gattin brüstete, zusammen mit Allyson in Babybüchern blätterte und Namenslisten erstellte. Der die zukünftige Mutter
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