Insel des Sturms
sind ebenso beeindruckend. Er
ist sehr freundlich und hat einen ausgeprägten Sinn für Humor, kann außerdem gut zuhören. Das ist eine Fähigkeit, die Gefahr läuft auszusterben, aber bei Aidan ist sie sehr deutlich vorhanden.
Seine Bindung an die Familie sticht einem ins Auge, ebenso wie seine Arbeitsmoral. Ich finde seine Intelligenz faszinierend und sein Talent als Geschichtenerzähler unterhaltsam. Ehrlich gesagt könnte ich ihm stundenlang lauschen.
Weit gereist ist er auch, hat Orte gesehen, von denen ich bisher immer nur träumen konnte. Nun, da seine Eltern nach Boston gezogen sind, hat er den Familienbetrieb übernommen und ist mit einer erstaunlichen Ruhe und gelassener Autorität in die Rolle des Familienoberhaupts geschlüpft.
Eigentlich sollte ich nicht in ihn verliebt sein. Was Aidan und mich verbindet, ist eine befriedigende körperliche Beziehung und eine wunderbare, von gegenseitiger Zuneigung geprägte Freundschaft. Beides empfinde ich als sehr kostbar, und es sollte mir genügen.
Trotzdem bin ich obendrein in ihn verliebt.
Mir ist klar geworden, dass alles, was je über das Phänomen der Liebe geschrieben wurde, stimmt. Die Blumen duften süßer, die Sonne leuchtet heller. Ich glaube, meine Füße haben seit Tagen nicht mehr den Erdboden berührt.
Es ist erschreckend und wundervoll zugleich.
So etwas habe ich noch niemals erlebt. Ich hatte keine Ahnung, dass ich zu derartigen Gefühlen in der Lage bin. Leidenschaftlichen, freudetrunkenen, vollkommen närrischen Gefühlen!
Natürlich bin ich immer noch ich. Ich kann in den Spiegel blicken und sehe nach wie vor dasselbe Bild. Trotzdem habe ich das Gefühl, plötzlich vollständiger zu sein. Als hätten Teile meiner selbst, die bisher verborgen oder verdrängt waren, endlich ihren rechtmäßigen Platz gefunden.
Mir ist klar, dass die körperlichen und emotionalen Stimuli, die Macht der Endorphine und… ach, zum Teufel mit den wissenschaftlichen Erklärungen! Diese Sache bedarf keiner theoretischen Analyse. Welch ein Glück, dass sie geschieht!
Es ist so wunderbar romantisch, wenn er mich abends zu Fuß zu meinem Cottage bringt. Wenn er in der Abenddämmerung oder im Mondlicht vor meiner Tür steht und vorsichtig klopft. Wenn er mir Wildblumen oder Muscheln oder hübsche Steine bringt.
Er tut Dinge mit meinem Körper, von denen ich bisher nur gelesen habe. Pah – inzwischen ist das Lesen mir überhaupt nicht mehr wichtig.
Ich fühle mich verrucht und lache über mich selbst. Jude Frances Murray verfügt über einen ausgeprägten Sexualtrieb. Und er scheint nicht schwächer zu werden.
Nie zuvor in meinem Leben habe ich mich derart amüsiert.
Ich hatte keine Ahnung, dass Romantik unterhaltsam sein kann. Weshalb hat mir das nie jemand gesagt?
Wenn ich in den Spiegel sehe, fühle ich mich schön. Man stelle sich das vor. Ich fühle mich schön!
Heute hole ich Darcy ab, und wir fahren zusammen zum Einkaufen nach Dublin. Ich werde mir lauter extravagante Dinge zulegen, hurra!
Das Gallagher’sche Haus war alt und verwunschen und lag am Ende des Dorfes auf einem steilen, kleinen Hügel direkt über dem Meer. Hätte Jude gefragt, dann hätte man ihr erklärt, dass der Sohn des alten Shamus, ein anderer Aidan, das Haus im Jahr seiner Hochzeit erbaut hatte.
Auch wenn die Familie ihren Lebensunterhalt nie als Fischer verdient hatte, genoss sie den Meerblick.
Nachfolgende Generationen hatten im Lauf der Jahre, je
nachdem, ob die Finanzen und die Umstände es ihnen erlaubten, in Abständen Teile angebaut, sodass es inzwischen jede Menge Räume gab, die meisten mit direktem Blick aufs Meer.
Das Gebäude bestand aus dunklem Holz und sandfarbenem Stein, beides ohne ein besonderes, erkennbares System zusammengezimmert. Jude fand es lustig und in seiner Einzigartigkeit sehr einladend. Es bestand aus zwei Etagen und besaß eine breite Vorderveranda, die dringend gestrichen gehört hätte und die man über einen schmalen, von unzähligen Füßen abgetretenen steinernen Weg erreichte. Die Fenster mit den vielen kleinen Scheiben zu putzen war sicher eine Heidenarbeit.
Das Ganze machte einen gleichermaßen heimeligen wie majestätischen Eindruck, und in dem sanften, sich allmählich hebenden Morgennebel wirkte es obendrein geheimnisvoll.
Sie fragte sich, was für eine Kindheit und Jugend Aidan in diesem großen, weitläufigen Mauerwerk verbracht hatte – nur einen Steinwurf vom breiten, weißen Strand entfernt und nah genug am Dorf, um
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