Insel des Sturms
helfen?«
»Weil er mich gebeten hat, zu Hause zu bleiben und mich um Jude zu kümmern, bis Darcy ihren Auftritt hat, Mutter! Aber da du ja jetzt schon so lange da bist, mache ich mich
umgehend auf den Weg. Ich hoffe, du kommst bald mal wieder und spielst dann weiter, Jude Frances.« Lächelnd erhob er sich von der Bank. »Es ist ein Vergnügen, meine Melodien von jemandem zu hören, der mit Musik was am Hut hat.«
Er wandte sich zum Gehen und hielt gerade lange genug neben Brennas Sessel inne, um ihr den Schirm von ihrer Mütze in die Stirn zu ziehen. Als die Haustür krachend hinter ihm ins Schloss fiel, schob sie den Schirm zurück.
»Er benimmt sich, als wäre ich immer noch zehn Jahre alt und hätte ihm beim Fußball in den Hintern getreten.« Dann grinste sie vergnügt. »Hat er nicht einen wirklich allerliebsten Hintern?«
Lachend erhob sich auch Jude von der Klavierbank und strich die Notenblätter glatt. »Der Rest von ihm ist auch nicht gerade übel. Außerdem kann er komponieren.«
»Ja, er hat ein seltenes Talent.«
Jude drehte sich verwundert um. »Vor einer Minute noch scheinst du anderer Ansicht gewesen zu sein.«
»Wenn ich ihm sage, dass mir seine Musik gefällt, bläst er sich noch mehr auf als sonst.«
»Sicher kennt ihr beiden euch schon seit eurer Geburt?«
»Vielleicht sogar noch länger«, pflichtete Brenna ihr bei. »Wir sind vier Jahre auseinander, er erschien als Erster.«
»Und du warst schon öfter hier in diesem Haus, als du überhaupt zählen kannst. Du darfst einfach hier reinkommen, als wäre es dein eigenes Zuhause – es ist so gastfreundlich.«
Jude wanderte durch den Raum, betrachtete die überall verteilten, in den verschiedensten Rahmen steckenden Fotos, den alten Krug mit der angeschlagenen Tülle, in dem ein Strauß leuchtend bunter Frühlingsblumen stand, die verblichene Tapete und den abgewetzten Teppich.
»Ich nehme an, ich war hier ebenso zu Hause wie Darcy und ihre Brüder bei uns«, erklärte Brenna ihr. »Und die gute
Mrs. Gallagher hat mich ebenso gern und häufig übers Knie gelegt wie ihre eigene Brut.«
Darüber dachte Jude kurz nach. Niemand hatte sie jemals übers Knie gelegt. Ihre Eltern hatten sie stets mit kühler Vernunft zur Ordnung gerufen und passiv-aggressive Schuldgefühle in ihr wachgerufen, statt sich etwa derart zu vergessen. »Es muss wunderbar gewesen sein, hier aufzuwachsen – umgeben von Musik!«
Bei ihrer weiteren Inspektion bemerkte sie die gemütlich verblichenen Kissen, das alte Holz, die Nippsachen und die Muster, die das Licht durch die Fenster auf die Möbelstücke warf. Zweifelsohne könnte das Ganze eine Renovierung vertragen, dachte sie und grinste. Aber genauso, wie es nun mal war, enthielt dieses Haus alles, was man brauchte. Es bot einem ein Heim, es bot Raum für eine riesige Familie, es stand für Beständigkeit und Liebe.
Ja, dies war ein Ort für eine Familie, für jede Menge Kinder – ganz anders als ihr ruhiges, beschauliches Cottage.
Sie stellte sich vor, dass diese Wände das Echo allzu vieler im Zorn und in Freude erhobener Stimmen bargen, um jemals wirklich still zu sein.
Angesichts des lauten Klapperns auf der Treppe drehte sie sich um und sah, dass Darcy mit wehenden Haaren die Stufen heruntergeschossen kam. »Wollt ihr beiden etwa den ganzen Tag hier herumhängen und faulenzen?«, kreischte sie munter. »Oder fahren wir vielleicht tatsächlich noch nach Dublin?«
Irgendwie kam Jude die Strecke Ardmore – Dublin vollkommen anders vor, als es die Fahrt von Dublin nach Ardmore neulich gewesen war. Im Wagen herrschte so fröhliches Geplapper, dass sie kaum Zeit hatte, wegen des Steuerns aufgeregt zu sein. Darcy versorgte sie mit den neuesten Klatschgeschichten aus dem Dorf. Es schien, als hätte der junge
Douglas O’Brian Maggie Brennan geschwängert und als würden die beiden nun so bald wie möglich heiraten. Und der Papa James Brennan war derart außer sich gewesen über das Tête-à-tête seiner Tochter mit Douglas, dass er sich sinnlos betrunken und die Nacht im Garten verbracht hatte – nachdem er von seiner Frau des Hauses verwiesen worden war.
»Dann soll sich Mr. Brennan auf die Suche nach dem jungen Douglas gemacht und der Junge sich auf dem Heuboden seines Vaters versteckt haben – wo, wie einige wetten, die schändliche Tat ganz sicher ebenfalls vollbracht wurde –, bis die Krise ausgestanden ist.« Brenna zog sich den Schirm ihrer Mütze ins Gesicht und rekelte sich wie eine
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