Insel des Todes
in ihrem Inneren verbergen, zum Beispiel«, meinte ich.
»Vielleicht mehr.« Sie
schauderte. »Der ganze Haß, die Gewalttätigkeit — eine Flut vielleicht, die uns
alle verschlingen wird, Danny, auch Sie und mich.«
»Ich glaube, Ihre Phantasie
geht mit Ihnen durch, mein Kind«, sagte ich. »Wenn es ein Unfall war, was gibt
es dann zu fürchten ?«
»Sie haben niemals im Schatten
von Damon Gilbert gelebt und auch nicht in dem seiner Tochter«, erwiderte sie
gepreßt.
»Jeder von Ihnen hat also tiefe
Wunden, die er pflegen muß ?« meinte ich. »Und wenn jemand
anfängt, in den alten Wunden zu wühlen, wird es zu heftigen Reaktionen kommen ?«
»Ja, das habe ich gemeint«,
bestätigte sie nickend. »Sie haben es genau erfaßt, Danny .«
»Oh, das ist doch nichts
Besonderes«, gab ich hochnäsig zurück. »Sprechen wir doch mal von etwas
anderem. Sehen Sie eigentlich diesen Schauspieler noch manchmal — den mit der
Frau in Westchester ?«
Sie starrte mich schweigend an.
Alle Farbe wich aus ihrem Gesicht. Die sonnengebräunte Haut wirkte plötzlich
wie vergilbt. Dann klatschte ihre Hand schmerzhaft auf meine Wange.
»Verschwinden Sie !« befahl sie tonlos.
»Wie Sie wollen, Betty .« Ich stand auf.
Ihre Augen schlossen sich, und
ihre Fingernägel gruben sich in ihre Handflächen. »Sie gemeiner Mensch«,
murmelte sie leise und schmerzlich. »Sie schäbiger, gemeiner Kerl!«
Ich trat zur Tür und öffnete
sie.
»Danny !« rief sie kleinlaut.
»Ja?« Ich drehte mich um,
schloß die Tür wieder und sah sie an.
Sie stand vom Sofa auf und
schritt steif und ungelenk durchs Zimmer. Unmittelbar vor mir blieb sie stehen.
Ihre Hand berührte sacht meine Wange.
»Es tut mir leid«, sagte sie
leise. »Hat es sehr weh getan ?«
Heldenhaft schüttelte ich den
Kopf. »Es war nicht so schlimm .«
»Woher wissen Sie von dem
Schauspieler und mir ?«
»Von einem ekligen, kleinen Mann
mit schmutzigen Fingernägeln«, erklärte ich. »Er fand die Geschichte unheimlich
witzig und war stolz darauf, daß niemand etwas abbekommen hatte. Was sind schon
ein blaues Auge und eine gebrochene Rippe ?«
»Jennings«, sagte sie
angewidert.
»Damon Gilbert bekam die
Unterschrift unter den Vertrag, mit dem sich der Schauspieler für die Dauer der
Aufführungen verpflichtete. Sie wurden in aller Stille geschieden, und die Frau
bekam ihren Schauspieler wieder zurück«, sagte ich gelassen. »Jennings war der
Ansicht, es sei alles zu einem guten Ende gekommen .«
»Nur war da noch ein weiterer,
ganz nebensächlicher Punkt«, fügte Betty tonlos hinzu. »Ich liebte diesen
Schauspieler nämlich. Ich brauchte ein Jahr, um über die Sache hinwegzukommen.
Nacht für Nacht weinte ich mich in den Schlaf, und jedesmal mußte ich ein
lächelndes Gesicht bewahren und den Kopf schütteln, wenn Damon mir Freikarten
für das Stück anbot. Aber das zählt wohl nicht .«
»Jennings ist ein Materialist«,
meinte ich. »Geld her, dann schenkt er Ihnen sein Herz .«
Ihre Finger strichen flüchtig
über meine Wange.
»Es tut mir leid, daß ich Sie
geohrfeigt habe, Danny. Es war nicht Ihre Schuld .«
»Schwamm drüber«, erwiderte
ich. »Schlafen Sie jetzt, damit wir morgen frisch und munter in aller
Herrgottsfrühe das Flugzeug erwischen .«
Sie wandte sich von mir ab und
schritt bis zur Mitte des Zimmers. Dort blieb sie stehen, steif und
kerzengerade.
»Gute Nacht, Betty«, sagte ich.
»Geh nicht, Danny«, flüsterte
sie. »Ich hab’ Angst vor dem Alleinsein. Bitte, bleib !«
»Schlucken Sie ein paar
Tabletten und schlafen Sie sich aus«, versetzte ich ermutigend.
Ihre Stimme klang plötzlich
scharf. »Ich habe gesagt, du sollst nicht gehen !«
Mit fliegenden Fingern knöpfte
sie ihr Kleid auf. Raschelnd fiel die Seide zu Boden. Dann entledigte sie sich
ihrer übrigen Kleidungsstücke und kam langsam auf mich zu. Es war nicht mehr
die steife, ungelenke Bewegung von zuvor, sondern ihr Körper bog sich bei jedem
Schritt mit der geschmeidigen Anmut einer Katze.
Sie drückte sich an mich. Ihr
Kopf war zurückgeworfen, und die Augen, in deren dunklen Tiefen sich zwei
Flammen entzündet hatten, blickten zu mir auf.
»O Danny, Danny !« flüsterte sie viel später in der Dunkelheit. »Es war
wunderbar .«
5
Wir fuhren im offenen Wagen
über die Küstenstraße nach Norden. Die heiße Sonne brannte von einem
tiefblauen, wolkenlosen Himmel, doch ihre Glut wurde von der frischen Brise
gemildert, die vom Wasser herüberwehte. Zu
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